bears and more • Klaus Pommerenke
 
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29. Juli 2012
Premierministerin von BC Christy Clark sieht im Northern Gateway Pipeline-Projekt
ein sehr hohes Umweltrisiko und einen sehr geringen Nutzen für BC
 
Über Monate hinweg war die Debatte von Gegnern und Befürwortern des Northern Gateway Pipeline-Projekts der Enbridge Inc. immer heftiger geworden. Christy Clark, die Premierministerin von BC, ließ jedoch über ein Jahr lang keine klare Position zu diesem Pipeline-Projekt erkennen. Erst jetzt, offensichtlich unter dem Druck neuer Erkenntnisse, die für Enbridge geradezu vernichtend sind, äußerte sie sich: „I understand the national benefit in this, and the huge benefit to Alberta in this. I understand that. But there is a very large risk to British Columbia for our marine and terrestrial environment. And there is a very small – at the moment – benefit to our province … Based on what we know now, I don’t think British Columbians think the balance of risks and benefits is an acceptable one.“ (Christy Clark: Northern Gateway Pipeline a ‚very large risk‘ with ‚very small benefit‘ for B.C., Jason Fekete, The Vancouver Sun, 20. Juli 2012). Damit sich Clark in dieser Form äußerte, bedurfte es vieler Meinungsumfragen, in denen sich immer mehr Einwohner von BC gegen das Pipeline-Projekt aussprechen, der Technischen Analyse „Requirements for British Columbia to Consider Support for Heavy Oil Pipelines“ und wohl auch des Berichts des US National Transportation Safety Board (NTSB), in welchen die von Enbridge verursachte Ölpest im Kalamazoo River in Michigan vom Juli 2010 untersucht wurde (vergleiche Meldung vom 19. September 2010 auf dieser Website). Das NTSB stellte dem Enbridge-Konzern in seinem Bericht ein verheerendes Urteil aus. Bei jedem Druckabfall in einer Pipeline und bei jedem Hinweis auf einen abnormen Ölfluss muss der entsprechende Pipelineabschnitt innerhalb von 10 Minuten außer Betrieb genommen werden. Bei Enbridge dauerte es volle 17 Stunden, trotz wiederholter Alarmmeldungen. „The initial and subsequent alarms associated with the rupture were not recognized as a line-break through two start-up attempts and over multiple control center shifts“, heißt es in dem Bericht des NTSB. Im Enbridge-Kontrollraum in Edmonton herrschte laut den Protokollen, die dem NTSB vorgelegt wurden, Chaos, Konfusion, absolute Gleichgültigkeit und fehlerhafte Kommunikation. Keiner der Diensthabenden kannte sich mit den Alarmzeichen aus, keiner wusste, was zu tun war, keiner konnte die Alarmzeichen richtig interpretieren. Pro 12-Stunden-Schicht sollen dort offiziell 25 Personen arbeiten. Statt die automatischen Abschaltungen von Teilabschnitten der Pipeline aufgrund des Druckabfalls ernst zu nehmen, wurden zwei Versuche unternommen, die lecke Pipeline wieder mit noch höherem Druck neu anzufahren. Folgender Dialog, welcher dem NTSB-Bericht entnommen ist, zeigt eindrücklich, mit welch unzureichend geschultem Personal und mit welch geringem Risikobewusstsein Enbridge Ölpipelines betreibt:
„Operator B2 said he has never seen this problem before and that it was interesting. Operator B2 stated that the situation looked like a leak, and Operator B1 stated that they could pump as much as they wanted but could never over pressurize the pipeline. Operator B2 stated that eventually the oil has to go somewhere. Operator B2 said that it seemed as if there was something wrong about the situation. Operator B2 said to Operator B1 ‚whatever, we’re going home and will be off for few days‘. Operator B1 stated they were not going to try this again, not on their shift.“ (Control room and supervisory control and data acquisition (SCADA) group chairman factual report, vom 10. April 2012, Seite 15).
Die „safety culture“ der Enbridge-Mitarbeiter lautete offensichtlich: „Wir haben ein Problem, also machen wir jetzt schnell Feierabend und nehmen ein paar Tage frei, die nächste Schicht wird sich des Problems schon annehmen.“ So flossen durch die Pipeline mit 76 cm Durchmesser vom Zeitpunkt des ersten Alarms bis zum Abschalten noch mehr als 2,57 Millionen Liter des besonders umweltschädlichen Öls aus den Teersande-Abbaugebieten Albertas und ergossen sich in den Kalamazoo-River, insgesamt gelangten 3,03 Millionen Liter in die Umwelt.
 
Der Verlauf der Enbridge 6B-Ölpipeline, die bei Marshall leck schlug und die Ölpest im Kalamazoo River verursacht hat. Quelle: Control room and supervisory control and data acquisition (SCADA) group chairman factual report, vom 10. April 2012
© Enbridge Energy
 
Der Bericht des NTSB kommt zu dem Schluss, dass der Pipelinebruch und die Ölpest vermeidbar gewesen wären. Bereits seit 2004 wusste Enbridge von massiven Korrosionsproblemen in dieser Pipeline, repariert wurde jedoch nichts. Auch wegen dieser unsäglichen Schlamperei wurde Enbridge nun im Juli zu einer Geldstrafe von insgesamt 3,7 Millionen CAD verurteilt. Das US Department of Transportation’s Pipeline and Hazardous Materials Safety Administration (PHMSA) listete alleine 24 Verstöße gegen Vorschriften zum Pipelinebetrieb auf. Das NTSB „accused Enbridge of overlooking warning signs of corrosion, cracks, and thinning metal in the pipeline that first emerged 2004“. Das Öl musste fließen, trotz aller Warnzeichen. Die Profitgier des Enbridge-Konzerns behielt auch dieses Mal – wie bei ungezählten Vorfällen in der Vergangenheit – die Oberhand gegenüber Sicherheitsaspekten. Den Bericht des NTSB nannte Suzanne Goldenburg im The Guardian vom 10. Juli 2012 „vernichtend“ für Enbridge. „A damaging blow to Enbridge’s proposed Northern Gateway pipeline“ sah die Vancouver Sun vom 14. Juli im Bericht des NTSB. Die gegen Enbridge ausgesprochene Strafe von nur 3,7 Millionen CAD nannte Anthony Swift vom Natural Resources Defence Council unbedeutsam: „With projects this big, a fine of less than $ 4-million becomes a minimal cost of doing business rather than a real motivator to follow safety standards.“ Die Kosten für die Sanierungsmaßnahmen im Kalamazoo River belaufen sich bislang schon auf ca. 800 Millionen CAD. Dies sind Kosten, die keine Versicherung decken wird. Robyn Allan, ehemals Präsidentin der Insurance Corp. of B.C., wies bereits darauf hin, dass die Steuerzahler in Kanada und vor allem in BC davor geschützt werden müssten, für die Kosten einer Ölpest im Rahmen des Northern Gateway Pipeline-Projektes aufkommen zu müssen, die Enbridge nicht bezahlen können wird. Den Profit an diesem Pipeline-Projekt würde größtenteils Enbridge einstreichen, die nicht absehbaren Kosten für die Bekämpfung einer Ölpest zu Wasser oder an Land würden der Allgemeinheit aufgebürdet.
Wenige Monate nach der Ölpest im Kalamazoo River genehmigten sich die 12 Enbridge-Direktoren satte Gewinnzulagen. In einem Rundschreiben (management information circular, 2011) wurde bekannt, dass die Jahresbezüge von Enbridge-CEO und Präsident Patrick Daniel von 6 Millionen CAD auf 8,1 Millionen CAD für das Jahr 2010 erhöht wurden – um 35 %. Stephen J. Wouri, Chef des Flüssigpipeline-Bereiches erhielt eine Einkommenserhöhung von 1,9 Millionen CAD auf 2,7 Millionen CAD, sozusagen als Belohnung für die im Kalamazoo River bei Marshall angerichtete Ölpest. „The Marshall incident was factored into the 2010 short-term incentive awards for all of the named executives“, heißt es in dem Rundschreiben. Ein Jahr nach der Ölkatastrophe wurden die Bezüge von 5 „senior executives“ von Enbridge nochmals um insgesamt 4,5 Millionen CAD erhöht. Alleine Patrick Daniel erhielt nochmals 2,396 Millionen CAD mehr. Enbridge sagt von sich, man habe eine „pay for performance philosophy“. Das NTSB attestierte dem Konzern eine „Kultur der Abweichung“ (culture of deviance) von Sicherheitsstandards. Die Vorsitzende des NTSB, Deborah Hersman, bezeichnete die Reaktion von Enbridge auf die Alarmmeldungen hin als stümperhaften Pfusch: „When we were examining Enbridge’s poor handling to their response to this rupture you can’t help but think of the Keystone Cops.“ Die Keystone Cops waren eine Schauspielertruppe, die chaotische, unfähige, unkoordiniert bzw. fehlerhaft handelnde und sich gegenseitig behindernde Polizisten spielten. Ihr tollpatschiges und aberwitziges Verhalten war Teil vieler Slapstick-Komödien zwischen 1912 und 1917.
Konsequenzen wegen der angerichteten Ölpest gab es bei Enbridge nicht, niemand wurde seines Postens enthoben. „Safety has always been core to our operations“, erklärte Stephen J. Wouri, der auch noch mit einer satten Gehaltserhöhung für sein Versagen im sicheren Betrieb der Pipelines belohnt wurde. Nach Firmenangaben hat das Enbridge-Direktorium unter anderem folgende Aufgaben: „Seeking assurance that our internal control systems and management information systems are in place and operating effectively.“ Eindrücklicher als durch die bislang größte jemals an Land angerichtete Ölpest in den USA, am Kalamazoo River, kann ein Direktorium sein eigenes Versagen kaum demonstrieren. Die ganze Absurdität des Ölgeschäfts gipfelt in der Auszeichnung von Enbridge-Chef Patrick Daniel als Kanadas „Outstanding CEO of the Year“ für 2011.
Christy Clark wäre gut beraten, wenn sie die Pipelinepläne von Enbridge und somit auch den Verkehr mit Öl-Supertankern entlang der Küste von BC mit einem klaren Nein stoppen würde. Ihr geht es jedoch im Kern nicht um den Schutz der Umwelt vor einer Ölkatastrophe in BC, sondern nur darum, im Streit mit der Premierministerin von Alberta, Alison Redford, mehr von den zu erwartenden Steuereinnahmen für BC herauszuholen. Im Prinzip signalisierte sie – sofern die Steuereinnahmen aus dem Pipeline-Projekt für BC stimmen – ihre Zustimmung. „I understand the value in being able to export that oil, that bitumen, to China, for Alberta“, erklärte sie. Eine leidenschaftliche Befürworterin ist sie auch für die Gewinnung von Gas im Nordosten von BC nach der extrem umweltschädlichen Fracking-Methode. Schon seit langem plant Shell in den „Sacred Headwaters“, den Quellgebieten von Taku, Stikine/Iskut, Nass und Skeena River die Methangasgewinnung aus Kohleflözen (Klappan-Projekt). Clark sieht hunderte Milliarden Dollar für die Provinz in diesem Gebiet verborgen. In ihren Visionen sieht sie bereits Gaspipelines von diesen Gebieten bis zur Küste, um das Gas gewinnbringend nach Asien bringen zu können. Den drittgrößten multinationalen Konzern der Welt, Royal Dutch Shell, der zusammen mit BP und Exxon Mobil führend ist, wenn es irgendwo auf der Welt zu Umweltkatastrophen kommt, ebnet sie mit ihrer Unterstützung bereits jetzt den Weg für die zukünftige Zerstörung der Umwelt in den Sacred Headwaters. Sie übersieht die massiven Umweltrisiken bei der Fracking-Methode und verweist stattdessen lieber auf das geringe Risiko beim Transport von Gas durch Pipelines: „Natural gas is a very low-risk commodity to move and to ship … Shipping bitumen is a whole different story and we are watching very closely what is going on with the Joint Review Panel process.“
Nach dem vernichtenden Urteil des US NTSB am Pipeline-Konzern Enbridge erklärte dieser, dass er bereit sei, 400 bis 500 Millionen CAD für ergänzende Sicherheitsmaßnahmen für das Northern Gateway Pipeline-Projekt aufzubringen. „We recognize that there are concerns among aboriginal groups and the public around pipeline safety and integrity“, sagte Jeannette Holder, Vizepräsidentin von Enbridge. „With the enhanced measures, we will make what is already a very safe project even safer in order to provide further comfort to people who are concerned about the safety of sensitive habitats in remote areas.“ Welchen Stellenwert die Sicherheit der Ölpipelines bei Enbridge tatsächlich einnimmt, zeigte der skrupellos am Gewinn orientierte Konzern einmal mehr selbst: Erst im Juni 2012 ergossen sich etwa 230.000 Liter Rohöl aus einer Pumpstation von Enbridge’s Athabasca Pipeline, 24 km von Elk Point in Alberta. Vorausgegangen waren – ebenfalls im Juni 2012 – zwei weitere schwere Ölunfälle in Alberta: Von einer Ölquelle von Pace Oil & Gas Ltd., 200 km von der Grenze zu den Northwest Territories, flossen nahezu 800.000 Liter Öl in die Umwelt; aus einer unter dem Red Deer River gebrochenen Midstream Canada-Pipeline ergossen sich zwischen 160.000 und 480.000 Liter Öl und verseuchten das Trinkwasser. Mehrere tausend Liter Öl gelangten in den Jackson Creek, welcher in den Red River mündet. Allein 2010 ereigneten sich laut offizieller Statistik der Provinz Alberta nahezu zwei Pipeline-Unfälle pro Tag, der durchschnittliche Ölaustritt betrug 9.350 Liter pro Ereignis.
„According the NTSB the majority of Enbridge’s pipeline failures between 1984 and 2010 were due to manufacturing defects (26 per cent), equipment failures (20 per cent), construction defects (15 per cent) or external corrosion (14 per cent). Stress corrosion cracking accounted for another three per cent of the company’s pipeline failures“, schrieb Andrew Nikiforuk am 22. Juni 2012 in The Tyee (Spill crisis: ‚Whatever, we’re going home‘).
 
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