bears and more • Klaus Pommerenke
 
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24. August 2009
Der Laichzug der Rotlachse im Fraser River bleibt
nahezu aus – droht der Bestandszusammenbruch?
 
Ursprünglich ging die Pacific Salmon Commission (PSC) davon aus, dass dieses Jahr 10,5 Millionen Rotlachse (Sockeye salmon, Onchorhynchus nerca) zum Laichen in den Fraser River zurückkehren werden. 2005 laichten nahezu 9 Millionen Rotlachse im Fraser-Flusssystem. Alleine die Nebenflüsse Chilco und Quesnel brachten 130 Millionen Junglachse hervor. Für etwa zwei Jahre blieben die Junglachse in den Seen entlang der Flüsse, zogen 1007 ins Meer und sollten – als Höhepunkt eines 4 Jahre-Zyklusses – dieses Jahr in ihre Laichgewässer zurückkehren. Nachdem letztes und vorletztes Jahr nur 1,7 bzw. 1,5 Millionen Rotlachse zurückgekehrt waren (durchschnittlich waren es in den Jahren davor immerhin noch 4,4 Millionen) sollte es dieses Jahr einen Rekord geben. Doch es kam zum Desaster: die PSC musste die Prognose von 10,5 Millionen zurückkehrender Rotlachse auf 985.000 senken. Alleine für den Hauptlaichzug, der bis Ende August dauert, wurde die Prognose von 8,7 Millionen auf nur noch 600.000 gesenkt.
Während für die zweckoptimistischen staatlichen Stellen das Ausbleiben der Lachse völlig überraschend zu sein scheint – auch das kanadische Fischereiministerium (Department of Fisheries and Oceans, DFO) rechnete mit 10,6 bis 13 Millionen rückkehrenden Rotlachsen – sahen andere die Katastrophe längst herannahen. Bereits im Oktober letzten Jahres setzte die IUCN (International Union for the Conservation of Nature) die Rotlachse auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Damals wurde diese Maßnahme von staatlichen Stellen als völlig übertrieben belächelt, doch jetzt ist die Katastrophe da. „It’s beyond belief“, sagte Fischereiberater Ernie Crey. „It looks like this will be the end of the big sockeye runs for the Fraser. We’ve managed the sockeye into almost extinction now.“ Wie schon beim völligen Bestandszusammenbruch der Dorschbestände vor Neufundland 1992, der zum Ruin der dortigen Fischer führte, hat die staatliche Fischereipolitik ein weiteres Mal komplett versagt. Fehlendes oder unzulängliches Datenmaterial, äußerst fragwürdige Prämissen und viel zu hohe Lachsfangquoten dürften die jetzige Situation wesentlich mit verursacht haben, die nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche Katastrophe ist. „What it means is that a lot of impoverished natives are going to be without salmon … We have families with little or no income that were depending on these fish …“, erklärte Ernie Crey. Auch der kommerziellen Fischerei, die noch vor dem erwarteten Rekord-Laichzug aufrüstete, sowie der Sportfischerei droht jetzt ein riesiger finanzieller Verlust, den manches Unternehmen wohl nicht überleben wird.
Doch wie konnten zwischen 9 und 11 Millionen Rotlachse verschwinden bzw. verenden? Hierfür gibt es sicherlich nicht nur eine Ursache. Höhere Fluss- und Ozeantemperaturen, die zu einem ungenügenden Nahrungsangebot geführt haben könnten und ungewöhnliche Ozeanbedingungen, die mehr Lachsfresser in nördlichere Gewässer gebracht haben könnten, werden diskutiert, aber vor allem die Infizierung der jungen Rotlachse mit Seeläusen (sea lice, Lepeophtheirus salmonis) und anderen Krankheiten aus den überhandnehmenden Fischfarmen entlang der Wanderroute der Junglachse ins Meer gilt als hochwahrscheinliche Ursache. Nur das DFO – allen voran Barry Rosenburger (Area Director für den Fraser River) und Paul Sprout (Pacific Regional Director) – weigert sich wohl aus politischen Gründen hartnäckig, die geradezu erdrückenden Fakten anzuerkennen und die Lachsfarmen wegen ihrer offenen Netzkäfige, die ungehindert Parasiten freisetzen, zu kritisieren oder gar gesetzliche Vorgaben für geschlossene Systeme zu erlassen. Nur hinter vorgehaltener Hand räumen Wissenschaftler des DFO gegenüber Alexandra Morton, einer unabhängigen Biologin, Walforscherin und scharfen Kritikerin der Lachsfarmen, längst ein, dass das Seelausproblem aus den Lachsfarmen eine ernsthafte Gefahr für die Wildlachse ist, schrieb Nelson Bennett am 21. August in den Richmond News. Offiziell wird dies immer noch geleugnet und lieber eine gestiegene Ozeantemperatur für den Bestandszusammenbruch im Fraser River verantwortlich gemacht. Unerklärt bleibt allerdings, wieso in Alaska, wo Lachsfarmen verboten sind, die Rotlachse diesen Sommer in Rekordzahl zurückgekehrt waren, sie schwimmen schließlich im gleichen Pazifik wie die Rotlachse aus dem Fraser River. Auch andere Rotlachspopulationen, die nicht durch die Johnstone Strait ziehen und nicht an Lachsfarmen vorbei ziehen müssen, kamen in großen Laichzügen in die Flüsse zurück.
Durch genetische Analysen der Raincoast Conservation Foundation wurde nachgewiesen, dass die meisten jungen Rotlachse aus dem Fraser River Richtung offenes Meer über die Georgia Strait/Johnstone Strait und das Broughton Archipelago wandern und genau dort müssen sie die Lachsfarmen in großer Zahl passieren. Hierbei erhalten sie ihre oft tödlich verlaufende Parasitendusche mit Seeläusen und infizieren sich mit anderen Fischkrankheiten, was ebenfalls zu einer Schwächung oder zum Tode führen kann. Die Biologin Alexandra Morton untersuchte 2007 etwa 350 junge Rotlachse im Gebiet der Lachsfarmen bei den Discovery Islands auf ihrem Weg ins offene Meer (die Generation der Rotlachse, die jetzt im August 2009 in den Fraser River zurückkehren sollte). Die jungen Rotlachse waren mit bis zu 28 Seeläusen befallen. Die Seeläuse waren noch klein, d. h. sie hatten sich erst in unmittelbarer Nachbarschaft der Lachsfarmen auf den jungen Rotlachsen festgesetzt. Auf virale und bakterielle Krankheiten, die ebenfalls in geballter Form von den Lachsfarmen ausgehen, konnten die Rotlachse nicht untersucht werden. Doch alleine der Seelausbefall reicht aus, die Rotlachse auf ihrem weiteren Weg ins Meer so weit zu schwächen, dass sie beim Hinzukommen weiterer negativer Faktoren (erhöhte Wassertemperatur, Nahrungsknappheit) endgültig eingehen. Die Seeläuse aus den Fischfarmen in der Georgia Strait/Johnstone Strait dürften sicher nicht die einzige, aber womöglich die Hauptursache sein für den Bestandszusammenbruch. Das DFO sieht dies als nicht bewiesen an, da es ja schließlich auch Seeläuse auf Wildlachsen in Gegenden gebe, wo sich keine Fischfarmen befänden. Alexandra Morton ist anderer Meinung und führt gute Argumente an: wenn Lachsfarmen „abgeerntet“ wurden und zur Zeit der Wanderung der jungen Wildlachse ins Meer ausnahmsweise noch leer blieben, geschieht regelmäßig etwas Interessantes – diese Wildlachse kommen zurück in ihre Laichflüsse. So z. B. 2003, als die Fischfarmen noch nicht mit Zuchtlachsen bestückt waren. Die vorbeiziehende Wildlachspopulation überlebte und kam in großer Zahl in die Laichflüsse zurück.
Jetzt ist das Wort Katastrophe in aller Munde und selbst die wenigen Rotlachse, die in den Fraser River zurückkehren (das DFO rechnet optimistisch wie immer mit ca. 1,7 Millionen), erwartet noch Schlimmes: die Wassertemperatur des Fraser River ist dank des trockenen und heißen Frühjahrs und Sommers im Süden von BC auf über 20 °C angestiegen. Viele Flüsse im Süden haben einen so extrem niedrigen Wasserstand wie seit 20 bis 30 Jahren nicht mehr. Es herrscht Wasserknappheit und BC wird von schweren Waldbränden heimgesucht. Bis Mitte August wurden bereits 2.400 Waldbrände gezählt, 530 mehr als im gleichen Zeitraum 2008. Zur Wassertemperatur im Fraser River stellte das DFO fest: „… water temperatures exceeding 20 °C may cause high en route mortality of Fraser River sockeye.“ Der Fischereiberater Ernie Crey drückte es deutlicher aus: „We are facing a catastrophy. Even if all fish that are expected do hit the river, they will run out of gas below Hell’s Gate [Engstelle im Fraser Canyon, ca. 50 km nördlich von Hope, 11 km von Boston Bar] and die before they have a chance to spawn.“
Bereits zum zweiten Mal haben die grandiosen Fehlkalkulationen der Schreibtischbürokraten des DFO einen Fischbestand in Kanada zusammenbrechen lassen, nach dem Dorschbestand vor Neufundland ist es jetzt das Rotlachsvorkommen im Fraser River. Doch auch die Provinzregierung von BC trug mit ihrer pro-Fischfarm-Politik zu Lasten der Wildlachsbestände wesentlich zur jetzigen Situation bei. Zwingende Ratschläge selbst eingesetzter Expertengremien (z. B. vom Special Committee of Sustainable Aquaculture) wurden ignoriert, das Seelausproblem der Fischfarmen wurde heruntergespielt, im Süden wurden immer neue Lachsfarmen genehmigt. Finanzmittel, die den Übergang von offenen Netzkäfigen in geschlossene Systeme fördern sollten, wurden im aktuellen Haushalt nicht berücksichtigt. Die kanadische Regierung trägt in hohem Maße mit Schuld am jetzigen Desaster: die Anzahl der Creekwalker zur exakten Erfassung der Lachspopulationen wurde drastisch reduziert, Mittel für das Salmonid Enhancement Program (SEP), ohnehin fragwürdig wegen der zu starken Fokussierung auf Fischzuchtanstalten statt auf den Schutz der natürlichen Laichgründe, wurden von 37 Millionen CAD 1990 auf aktuell nur noch 26 Millionen CAD zusammengestrichen. Den multinationalen Fischfarmkonzernen, meist mit Sitz in Norwegen, wurde der Vorrang eingeräumt vor einer nachhaltigen Fischerei der heimischen Wildlachsbestände und anderer Fischvorkommen.
Die Pazifischen Wildlachsressourcen bringen jährlich den Küstengemeinden etwa 1,6 Milliarden CAD ein und bieten 52.000 Arbeitsplätze, die Fischfarmen hingegen bieten nur 4.000 Arbeitsplätze und bringen 400 Millionen CAD an Profit, den zum allergrößten Teil die norwegischen Konzerne abschöpfen. Bis jetzt haben sich weder der Umweltminister von BC, Barry Penner, noch der Agrarminister Hagen – bislang zuständig gewesen für die Fischfarmen – geschweige denn die kanadische Fischereiministerin Gail Shea zum Ausbleiben der Rotlachse im Fraser River geäußert. Auf dem Höhepunkt der Krise weilte letztere in Norwegen, dem Sitz der drei großen Lachsfarmkonzerne, denen 92 % der Fischfarmen in BC gehören. Die Ministerin besucht seelenruhig in Trondheim die Aqua Nor (18. – 21. August), eine Messe der Aquakulturen-Industrie, um dort Werbung zu machen für die Lachsfarmen in Kanada. „I’m here in Norway to support our aquaculture industry in Canada because it’s a very important part of our economy“, erklärte sie. Das Motto des kanadischen Standes auf dieser Messe lautete: „Canada – Leader in Sustainable Aquaculture“.
Nicht nur Umweltschutzorganisationen, auch immer mehr Abgeordnete sogar der regierenden Partei in BC fordern jetzt endlich ein Umdenken in der Fischereipolitik und eine Abkehr von der Lachszucht in offenen Netzkäfigen, um die Wildlachspopulationen zu schützen. Jetzt, wo es fast schon zu spät ist, werden plötzlich Aktionspläne und Notfallmaßnahmen überlegt. Derzeit ist offen, ob diese Pläne realisiert werden oder wie schon so viele Vorschläge zur Erhaltung bzw. Rettung der Wildlachsbestände wie bisher in den Schubladen der Provinzregierung wie auch der kanadischen Regierung verstauben. Beide verschlossen sich bislang aus kurzfristigen wirtschaftlichen Lobby-Interessen der Evidenz wissenschaftlicher Erkenntnisse. Viel Zeit besteht nicht mehr und es ist noch nicht einmal die letztendliche rechtliche Zuständigkeit für die Fischfarmen geklärt, was nichts Gutes erahnen lässt.
Steve Hume versucht in seinem Artikel in der Vancouver Sun vom 25. August („Where have all the salmon gone?“) Bevölkerung wie auch Politiker wach zu rütteln: „What might the disappearance signify for the future sockeye runs? Is this a harbinger of a coming collapse for other wild salmon stocks? What might this mean for the survival of other species – bears, eagles, killer whales, small aquatic creatures that depend upon nutrients from decaying salmon carcasses and provide feed for trout, sturgeon, insects – that rely on these salmon returns?“ Diese Antworten sind bereits bekannt, doch Steve Hume stellt angesichts des jetzigen Desasters weitere klärungsbedürftige Fragen: „Why, since the scientists knew about it in 2007, did we only learn about it in 2009, when the overly optimistic miscalculations of the fisheries bureaucrats became undeniable? What does this say about the federal government’s policy of muzzling scientists who come bearing bad news? … this isn’t just about missing fish, embarrassed bureaucrats, squabbling stackholders and tap-dancing politicians. It’s about us. It’s about who we are as citizens of a democracy. And it’s about whether something big is going on that’s causing an entire ecosystem to unravel – an ecosystem on which we happen to depend, too.“
Jetzt bedarf es eines extrem raschen Handelns, das auch vor unpopulären Maßnahmen nicht zurückschreckt. Vielleicht kann der endgültige Zusammenbruch der Rotlachspopulation im Fraser River nur dadurch abgewendet werden, dass eine weitere Expansion der Lachsfarmen in der Georgia Strait/Johnstone Strait und insbesondere in den Salmon Narrows untersagt wird und alle bestehenden Lachsfarmen baldmöglichst gezwungen werden, von offenen Netzkäfigen auf (teurere) geschlossene Systeme umzustellen. Ansonsten gingen die Rotlachse im Fraser River mit hoher Wahrscheinlichkeit den gleichen Weg wie die Dorsche vor Neufundland: den Weg der Ausrottung.
 
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