bears and more • Klaus Pommerenke
 
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6. Dezember 2009
Was verursachte das Massensterben der
jungen Rotlachse aus dem Fraser River?
 
Nach den Prognosen des Department of Fisheries and Oceans (DFO) hätten dieses Jahr zwischen 10,6 und 13 Millionen Rotlachse (Sockeye salmon) in den Fraser River und seine Nebenflüsse zurückkehren sollen, tatsächlich waren es jedoch nur 1,37 Millionen. Die jungen Rotlachse der jetzt vermissten Generation, die 2009 in ihre Laichgewässer hätten zurückkehren sollen, zogen im Frühjahr 2007 über das Gebiet der Discovery Islands am nördlichen Ende der Georgia Strait ins Meer hinaus. Dabei mussten sie die höchste Konzentration von Zuchtlachsfarmen in BC passieren und gerieten zwangsläufig in die von diesen Lachsfarmen ausgehende Parasitendusche. Die Raincoast Conservation Foundation untersuchte die jungen Rotlachse in diesem Gebiet und fand anhand genetischer Analysen heraus, dass etwa 70 % aus dem Fraser River stammten, hauptsächlich aus dem Chilko und Quesnel Lake. Mehr noch als die ebenfalls dort untersuchten jungen Buckellachse (Pink salmon) und Hundslachse (Chum salmon) waren die jungen Rotlachse von Seeläusen befallen. Mehr als 90 % der bei den Zuchtlachsfarmen untersuchten Rotlachse waren mit ein oder mehreren Seeläusen infiziert, ein extrem hoher Prozentsatz, der jedoch für die Forscher nicht völlig unerwartet kam: „We are not surprised by these results given the large number of farms in the area and the historic migration route of juvenile Fraser sockeye“, stellte Michael Price, Biologe und Lachsforscher der Raincoast Conservation Foundation schon damals fest. „Obviously louse parasitism from farms affects more salmon species from more areas than previously recognized.“ Interessanterweise fanden sich bei denjenigen jungen Rotlachsen, die nicht über die Discovery Islands ins Meer hinaus zogen und nicht an den Zuchtlachsfarmen vorbeischwimmen mussten, sondern die südliche Route um Vancouver Island herum wählten, keine erhöhte Infektionsrate mit Seeläusen und anderen Parasiten.
Alleine den Chilko Lake verließen 2007 über den Fraser River 78 Millionen junge Rotlachse und selbst bei sehr geringer Überlebensrate hätten eine Million Rotlachse zum Laichen nur dorthin zurückkehren müssen. Da die Ozeanbedingungen zur Zeit der Wanderung der jungen Rotlachse ins Meer als günstig erachtet wurden, sagte das DFO für 2009 eine Rückkehr von über 10 Millionen Rotlachsen voraus. Dies erwies sich – wie sich herausstellte – als grandiose Fehlprognose und seitdem rätselt man über die möglichen Ursachen. Viele Wissenschaftler vermuten längst, dass das, was nachgewiesenermaßen junge Buckel- und Hundslachse tötet, nämlich ein starker Befall mit Seeläusen, die von den Zuchtlachsfarmen ausgehen, auch die Hauptursache ist für das Massensterben der jungen Rotlachse. Dabei dürfte bei den jungen Rotlachsen weniger der unmittelbare Befall mit Seeläusen bereits tödlich sein, sondern erst die indirekt aus diesem Befall resultierenden Faktoren. „One idea emerging from the scientific community is not that juvenile salmon die as a direct result of being infected by lice, but rather indirectly. For example, juveniles infected by lice show slower swimming speeds and ‘loner’ behaviour, two characteristics that encourage increased predator risk; more juveniles infected with lice from farms, more food for natural predators, less returning salmon“, erklärte Michael Price. „If these juveniles host lice, it is going to affect their behaviour and likely slow them down … Early marine survival is at the core of salmon survival. They need to grow and they need to grow fast to avoid predators, and this [der Seelaus-Befall] could be slowing down their growth“, erläuterte Price. „Try swimming in the Pacific Ocean wearing a backpack, and that might hint at the difficulties faced by juvenile salmon when sea lice are hitching a ride …“ schrieb Judith Lavoie in der Times Colonist, nachdem sie den Lachsexperten interviewt hatte. Eine infolge der Klimaveränderung gestiegene Meerestemperatur in den Gewässern vor BC könnte mehr Arten weiter nach Norden gelockt haben, die unter anderem auf die Junglachse Jagd machen, z. B. Tintenfische und Makrelen, während allgemein die Planktonmenge sich verringert hat.
Lange Zeit wurde in der erbittert geführten Debatte über die von den Zuchtlachsfarmen ausgehende Seelausgefahr vom DFO mit einigen wenigen Ergebnissen eigener Laborexperimente argumentiert. Man habe zwar herausgefunden, dass z. B. ein Seelausbefall für junge Buckellachse, die weniger als 0,7 Gramm wiegen, tödlich sei, jedoch nicht für größere Jungfische. Junge Rotlachse wiegen auf ihrem Weg ins Meer zwischen 5 und 10 Gramm und so schlussfolgerte man, dass sie aufgrund ihrer Größe und ihres schon stabileren Immunsystems nicht gefährdet seien. „By extrapolation, you can predict that sockeye are large enough that lice wouldn’t affect them“, erklärte Simon Jones, Wissenschaftler im Dienste des DFO. Statt die ganze Komplexität des Seelausproblems zu betrachten, wurden lediglich Mortalitätsstudien, bezogen auf das Körpergewicht der Junglachse, durchgeführt. Sekundäreffekte des Seelausbefalls unter realen Ozeanbedingungen, wie z. B. eine Schwächung der Junglachse, eine langsamere Schwimmgeschwindigkeit, eine verringerte Nahrungsaufnahme und eine erhöhte Gefahr, selbst gefressen zu werden, wurden sträflich vernachlässigt bzw. unter Laborbedingungen gänzlich übersehen. Europäische Studien wiesen nach, dass selbst junge Atlantische Lachse und Seeforellen, die beide größer sind als junge Rotlachse, durch Seelausbefall stark geschädigt werden. Das DFO betrachtet diese Studien jedoch als irrelevant, da diese beiden Arten für Krankheiten empfänglicher seien und von einer anderen Seelausart befallen würden. Simon Jones vom DFO musste allerdings einräumen, dass es kaum Forschungen gibt zum Einfluss des Seelausbefalls von den Lachsfarmen auf die jungen Rotlachse, eine erschreckende Aussage angesichts des jetzigen Bestandszusammenbruchs der Fraser River-Rotlachse. Immerhin schließt er jetzt, nachdem andere Wissenschaftler schon seit vielen Jahren warnen und erdrückende Beweise lieferten, den schädlichen Einfluss der Seeläuse auf die Wildlachsbestände nicht mehr kategorisch aus: „There are many factors that influence ocean survival of juvenile Pacific salmon, and I don’t think there is a simple answer. Climate change and fresh water habitat conditions play a role, and sea lice maybe one of those issues“ (Time Colonist, 9. September 2009). Vielleicht sind erst jetzt, da Premierminister Stephen Harper eine höchstrichterliche Untersuchung der Umstände des Bestandszusammenbruchs der Rotlachse im Fraser River angeordnet hat, solche Aussagen von DFO-Mitarbeitern in der Öffentlichkeit möglich geworden. Immer mehr kommt heraus, dass Kritiker der offiziellen Fischereipolitik des DFO jahrelang mundtot gemacht wurden, dass es zwar Warnungen von kritischen Wissenschaftlern innerhalb des DFO gegeben hat, aber es wurde verhindert, dass diese nach außen getragen werden konnten. Mancher dieser Kritiker hat seinen Dienst beim DFO deshalb quittiert, ging nach seinem Ausscheiden an die Öffentlichkeit und wurde vom DFO danach in Misskredit gebracht. Doch jetzt unterstützen viele Abgeordnete die veranlasste Untersuchung und hören plötzlich auf die Kritiker. „If they and other critics are right, Department of Fisheries and Oceans bureaucrats have been ignoring the warnings of their own scientists and managers for years. It is widely believed that some have been muzzled. It will be interesting to see what they have to say when those muzzles come off“, heißt es in der Burnaby Now vom 18. November 2009. An dieser Maulkorbpolitik für die eignen kritischen Wissenschaftler zeigt sich der grundlegende Interessenkonflikt des DFO: Einerseits ist es für die Förderung und das Wohlergehen der Aquakulturen bzw. Fischfarmindustrie zuständig und andererseits soll es für den Schutz der Wildlachspopulationen sorgen. Innerhalb des DFO hat dank einer intensiven Lobbyarbeit der multinationalen Fischzuchtkonzerne klar die nahezu uneingeschränkte Expansion der Zuchtlachsfarmen die Oberhand gewonnen. Forschungen zum Schutz der Wildlachspopulationen wurden zurückgefahren, Gelder zur Dokumentation der Wildlachsvorkommen gekürzt, die Zahl der sogenannten Flussläufer (Creek Walker) drastisch reduziert, Kritiker wurden zum Schweigen gebracht. Nichts durfte dem Ziel der Förderung der Zuchtlachsfarmen im Wege stehen. Die Resultate dieser Zielorientierung sieht man jetzt – da noch weitere Negativfaktoren für die Wildlachse hinzugekommen sind – besonders deutlich.
Nicht nur im Fraser River, auch anderenorts ist es zu einem äußerst drastischen Rückgang der Lachspopulationen gekommen. Seit den frühen 90er Jahren sind manche Vorkommen von Silber-, Königs- und Rotlachsen um mehr als 70 % zurückgegangen. Das Königslachsvorkommen im Thompson River gilt offiziell als bedroht. Die Zahlen der im Clayoquot Sound an der Westküste von Vancouver Island zurückgekehrten Königslachse war dieses Jahr extrem niedrig. „They’re worse than last year and last year was a crisis“, sagte Dough Palfrey, der für das DFO die Lachse zählt. Für die Rotlachse sieht es nicht anders aus: „You’ve got extinctionon on your doorstep“, konstatierte er. „We have almost a total collapse of sockeye this year.“ Der Bestandszusammenbruch der Rotlachse des Kennedy River bzw. des Kennedy Lake über die letzten 10 Jahre hinweg ist prozentual noch schlimmer als der des Fraser River. Im Jahr 2000 wurden etwa 30.000 Rotlachse im oberen Kennedy River gezählt, dieses Jahr waren es nur noch 2.380 – ein Rückgang um 92,1 % innerhalb von nur 9 Jahren. Die Anzahl der Rotlachse, die am Ufer des Kennedy Lake laichen (beach spawning population, including Clayoquot Arm, Sand River and beaches along the highway) lag dieses Jahr bei nur noch 125. Im Jahr 2000 waren es noch 14.364 gewesen, 2004 waren es 11.500, 2008 dann nur noch 373. Eine Prognose für nächstes Jahr wagt niemand, doch Andrew Jackson, Fischereibeauftragter der Tla-o-qui-aht First Nation stellte resignierend fest: „If things don’t smarten up, it’s going to end up listed as a species at risk on COSEWIC (Committee on the Status of Endangered Wildlife in Canada) … we’re a UNESCO biosphere, yet we’re in this state of chaos.“
Insgesamt sieht die Zukunft der Wildlachspopulationen entlang der Küste von BC düster aus. Die Schließung von Zuchtlachsfarmen mit offenen Netzkäfigen zumindest entlang der Wanderroute der Junglachse wäre ein wirtschaftlich äußerst unpopulärer, aber effektiver erster Schritt, um den Zusammenbruch der Bestände noch aufhalten zu können. Die Herausforderungen einer Klimaveränderung, veränderter Ozeantemperaturen und anderer Meeresbedingungen zu meistern, ist viel schwieriger, komplexer und vielleicht auch nach vielen Jahrzehnten noch nicht möglich. Ob es dann noch Wildlachsvorkommen geben wird, ist derzeit nicht absehbar. Ein wichtiger Beitrag zum Schutz der Wildlachsbestände könnte neben dem Stopp der jahrelangen Überfischung auch ein Verbot der Zuchtlachsproduktion in offenen Netzkäfigen auf den verbleibenden Lachsfarmen abseits der wichtigsten Wanderrouten der Wildlachse sein. Eine Umwandlung dieser industriellen Lachs-Massenproduktion in geschlossene Systeme ohne Wasser- und Parasitenaustausch ins offene Meer würde die Wildlachspopulationen schützen, die grundsätzlichen ökologischen Bedenken gegen diese Form von Massenproduktion blieben jedoch bestehen. Weltweit gibt es bereits einige solcher Fischfarmen mit geschlossenen Systemen, doch die Produktionskosten für die Massenware Zuchtlachs würden steigen und dies versuchen die Fischfarmkonzerne natürlich zu vermeiden. Durch die weltweiten Boykottaufrufe von Zuchtlachs geraten die multinationalen Konzerne allerdings unter Druck. Doch statt komplett auf geschlossene Systeme umzurüsten, versuchen sie es lieber mit scheinheiligen „Öko“-Zertifizierungen ihrer Zuchtlachsprodukte. Cooke Aquaculture, in New Brunswick ansässig, bietet nach IFQC-Regeln (International Food Quality Certification) „ökozertifizierten“ Atlantischen Zuchtlachs an. Jay Ritchlin, Programmdirektor für Fischerei und Gewässerschutz der David Suzuki Foundation, bezieht hierzu eine klare Stellung: „This is a business-created marketing tool that has some ecological elements … It is created by industry for itself“, erläuterte er. „While Cooke Aquaculture has made some interesting efforts in improving their farming methods, we still don’t consider them a sustainable aquaculture product.“ Deshalb gilt für Verbraucher nach wie vor: Lassen Sie konsequent alle Atlantische Zuchtlachsprodukte im Kühlregal liegen und wählen Sie ausschließlich MSC-zertifizierten Fisch (Marine Stewardship Council). Verzichten Sie hierbei jedoch unbedingt auf MSC-zertifizierten Alaska-„Seelachs“ (Pazifischer Pollack oder Alaska-Pollack, Theragra chalcogramma). Dieser ist zwar – derzeit noch – MSC-zertifiziert, jedoch droht auch bei ihm zwischenzeitlich der Bestandszusammenbruch. Das im Februar bzw. April 2005 vergebene Zertifikat läuft leider immer fünf Jahre und endet erst 2010. Derzeit läuft die Prüfung, ob es verlängert werden kann und es sieht nicht danach aus. Der Pollack gehört übrigens nicht zu den Lachsfischen, sondern zur Familie der Dorsche und wird in Fischstäbchen als Kabeljauersatz verwendet.
 
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