bears and more • Klaus Pommerenke
 
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10. November 2011
National Geographic-Artikel zum Northern Gateway Pipeline-Projekt:
Pipeline durchs Paradies?
 
Das National Geographic-Magazin hat sich in seiner August-Ausgabe dem Titelthema Great Bear Rainforest gewidmet. Im Anschluss an das Vorwort von Dr. Erwin Brunner, Chefredakteur von National Geographic Deutschland, finden Sie den Artikel „Pipeline durchs Paradies?“.
„… es gibt Schätze auf der Welt, die sind einfach nur großartig. Zu den schönsten gehört der Great Bear Rainforest, ein riesiger und noch weithin intakter Regenwald an Kanadas Pazifikküste. Eine Wildnis fast so groß wie Bayern, mit so viel Biomasse wie in keinem anderen Ökosystem unseres Planeten. Ein Paradies der Artenvielfalt, die Heimat für Bären, Wölfe, Bergziegen und Hirsche, für Millionen Lachse und Zugvögel … Wer könnte jemals so vermessen sein, eine solch wunderbare Wildnis zu zerstören oder auch nur aufs Spiel zu setzen? Und dennoch: Ein kanadischer Konzern will zwei Pipelines durch den Great Bear Rainforest bauen. Um im Hinterland Ölsande auszubeuten. Um für den Dinosaurier namens fossile Energiewirtschaft noch die letzte Droge zu beschaffen. Das sage ich nur: Lasst uns endlich anfangen, der indianischen Weisheit zu folgen – und die Natur, das Leben, die Erde zu respektieren.“
© National Geographic Deutschland, Ausgabe August 2011
 
Pipeline durchs Paradies? Wie sich in Westkanada
Indianer und Umweltschützer dagegen zur Wehr setzen
Autor: Bruce Barcott
 
Schneebedeckte Gipfel überragen das Cascade Inlet, einen Fjord an der Küste
von British Columbia © Paul Nicklen mit Unterstützung von Lighthawk
 
Die „Queen of the North“ war der ganze Stolz von BC Ferries. Bis zur Nacht, in der sie sank. Am 22. März 2006 war die Fähre auf der Fahrt von Prince Rupert nach Port Hardy auf Vancouver Island. Kurz nach Mitternacht lief sie aus dem schmalen, 72 Kilometer langen Grenville Channel. Der Steuermann, abgelenkt von einem Gespräch mit einem Kollegen, unterließ es, den Kurs zu ändern. Um genau 00:20 Uhr lief das Schiff mit 17,5 Knoten vor Gil Island auf Grund. Die Felsen rissen ein großes Loch in den Rumpf. Knapp anderthalb Stunden später lag die Fähre in 430 Meter Tiefe.
99 der 101 Menschen an Bord überlebten, gerettet von Einwohnern der nahen Siedlung Hartley Bay, die ihnen trotz des Sturms mit Fischerbooten zu Hilfe eilten. Zwei Passagiere blieben vermisst. Bis heute liegt die „Queen of the North“ dort, wo sie sank. Jeden Tag läuft Diesel aus ihren Tanks, in denen sich noch immer Zehntausende Liter Treibstoff befinden.
«Wir mussten viele neue Wörter lernen», erinnert sich Helen Clifton, eine Matriarchin der Gitga’at-Indianer. «Ölfilm, Ölsperre, Ölboom – das kannten wir bis dahin nicht. Diese Katastrophe hat uns die Augen geöffnet.»
Wenn die Gitga’at aus Hartley Bay über ihre Zukunft sprechen, kommt die Rede immer wieder auf die „Queen of the North“. Denn das geplante „Northern Gateway“-Projekt wird diese schwer zu navigierenden, ökologisch sensiblen Gewässer an der kanadischen Westküste für Öltanker öffnen. Aus dem Unfall hätten sie zweierlei gelernt, sagen die Gitga’at. Egal wie sicher das Schiff ist: Der banalste menschliche Fehler kann es zum Sinken bringen. Und wenn es so weit kommt, müssen sie den Dreck wegräumen.
Daher sind sie voller Sorge, was die Pipeline und die rund 220 Tanker betrifft, die dann jedes Jahr hier durchfahren könnten. Die Regierung hat bereits grünes Licht für eine Flotte von Flüssiggastankern gegeben, die 2015 den Hafen von Kitimat anlaufen dürfen. Die Öltanker wären noch größer.
 
Karte: Martin Gamache und Lisa R. Ritter   Quellen: British Columbia Ministry of Forests, Lands and Natural Resource Operations; Enbridge; Fisheries and Oceans Canada; Rob Williams, Oceans Initiative; Platts; Raincoast Conservation Foundation
 
Das „Northern Gateway“-Projekt macht die Gitga’at und ihren Regenwald zu unfreiwilligen Figuren in einem großen geopolitischen Spiel. Kanada möchte als Global Player auf dem Erdölmarkt mitmischen. Die nachgewiesenen Reserven in den Ölsanden der Provinz Alberta (siehe Juni-Heft 2009) rangieren gleich an zweiter Stelle hinter den Ölfeldern Saudi-Arabiens.
Das kanadische Unternehmen Enbridge will nun eine 5,5 Milliarden Kanadische Dollar (fast vier Milliarden Euro) teure Pipeline bauen, um Öl aus Alberta über knapp 1200 Kilometer nach Kitimat am Pazifik zu transportieren. Über einen Leitungsstrang soll das Öl dorthin, über einen anderen Strang Erdgaskondensat nach Alberta geführt werden. Es wird benötigt, um das dickflüssige Rohöl fließfähig zu machen.
Riesige Tanker müssten durch ein Labyrinth von Inseln und Untiefen gesteuert werden. Der Hafen an der Westküste würde das wertvolle Öl aus Alberta für die asiatischen Märkte verfügbar machen. Chinas staatliches Mineralölunternehmen Sinopec, andere asiatische Ölveredler und kanadische Firmen haben bereits mehr als hundert Millionen Dollar investiert, um das „Northern Gateway“-Projekt zu planen und genehmigen zu lassen. «Für Kanada ist dieses Vorhaben von größtem nationalem Interesse», sagt Patrick Daniel, der Vorstandsvorsitzende von Enbridge.
Das Projekt ist nicht minder bedeutend für den Great Bear Rainforest, den noch weitgehend unberührten Urwald an der Pazifikküste von British Columbia. «Wir fürchten uns vor einer Katastrophe wie der Havarie der „Exxon Valdez“», sagt der Wildnisführer Doug Neasloss vom Stamm der Kitasoo/Xai’xais. Das Tankerunglück im März 1989 führte zu einer Ölpest im Süden Alaskas.
 
Violette Ockerseesterne (Ochre Sea Star, Pisaster ochraceus) und Gewöhnliches Seegras
(Eelgrass, Zostera marina) © Thomas P. Peschak
 
Der Great Bear Rainforest steht seit langem im Fokus gegensätzlicher Interessen. «Als ich in den neunziger Jahren hier aufwuchs, gab es fast keine Arbeit», erzählt Neasloss. «Neun von zehn Leuten in meinem Dorf Klemtu auf Swindle Island hatten keinen Job.» Holzunternehmen boten Arbeit an – aber sie rodeten weite Flächen komplett und zerstörten Bärenhabitate wie auch die Laichgründe von Lachsen.
Im Jahr 1995 ketteten sich Naturschützer zum ersten Mal an Bäume und Maschinen, um die Abholzungen zu stoppen. «Zuerst waren diese Leute hier nicht besonders willkommen», erinnert sich Neasloss. «Aber dann haben wir uns hingesetzt und geredet. Bei diesen Diskussionen entstand die Idee, den Great Bear Rainforest für die Zukunft zu bewahren.»
Bis 2009 hatte die Provinz British Columbia das Holzfällen in einem Drittel des 30.000 Quadratkilometer großen Great Bear Rainforest untersagt und den Rest einem ökologisch orientierten Management unterstellt. Einige Regionen sind als Parks geschützt. In anderen Schutzgebieten dürfen die Indianer weiterhin Fallen stellen und jagen; industrielles Abholzen und Bauprojekte sind verboten. Ein rund 125 Millionen Dollar teurer Fonds stellte das Grundkapital für Naturschutz und wirtschaftliche Entwicklungsprojekte zur Verfügung.
Und demnächst sollen die Tanker kommen. Viele Mitglieder der Umweltschutzgruppen, die auch gegen die Holzunternehmen kämpften, sowie indianische Gruppen protestieren gegen die Ölpipeline. «Dies ist die größte Bedrohung für die Natur, die wir je erlebt haben», sagt Ian McAllister, Mitbegründer von Pacific Wild, einer Organisation zum Schutz der Wildnis an der kanadischen Pazifikküste. «Es wird einen der größten Kämpfe für die Umwelt geben, den dieses Land je erlebt hat. Er wird gnadenlos sein.»
Ein von der kanadischen Bundesregierung auf zwei Jahre angelegtes Umweltprüfungs- und Genehmigungsverfahren soll Ende 2012 abgeschlossen sein. Der Kampf um die Pipeline erinnert an den Streit um die Trans-Alaska-Pipeline in den Späten sechziger und frühen siebziger Jahren.
Damals drohten die Gebietsansprüche der Ureinwohner Alaskas das Projekt zum Stillstand zu bringen. Der Konflikt wurde letztlich durch den „Alaska Native Claims Settlement Act“ entschieden. Alaskas Ureinwohner erhielten Geld und Land, die Pipeline wurde gebaut.
In Kanada scheint bisher kein ähnliches Abkommen vorgesehen zu sein. Im vergangenen Jahr erklärten 61 indianische Gruppen, dass sie nicht gestatten würden, die Rohrleitungen durch ihre traditionellen Territorien zu führen. Ob sie befugt sind, den Bau der Pipeline zu stoppen, ist schwer zu sagen. In British Columbia sind die Rechte der „First Nations“ bis heute weitgehend ungeklärt.
Das hindert die Energiefirmen nicht daran, die Stämme zu umwerben. «Wir wollen, dass die Ureinwohner ökonomisch an diesem Projekt beteiligt sind», sagt John Carruthers, der Präsident von Northern Gateway Pipelines.
«Sie wollen uns kaufen?», fragt Cameron Hill, ein Ratsmitglied der Gitga’at. «Sollen wir unsere Lebensweise verscherbeln? Wir leben hier von dem, was Land und Meer hergeben. Man hat uns beigebracht, das zu respektieren, was wir nehmen. So war es immer. Kein Geld der Welt kann uns dazu bringen, unsere Position zu ändern.»
 
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