bears and more • Klaus Pommerenke
 
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5. März 2012
Der 6. Jahrestag des Great Bear Rainforest-Abkommens von 2006.
Eine kritische Zwischenbilanz und Bestandsaufnahme
 
Vor etwas mehr als 6 Jahren, am 7. Februar 2006, wurde feierlich das Great Bear Rainforest-Abkommen unterzeichnet. Nach jahrelangem „Krieg in den Wäldern“, Blockadeaktionen und Boykottkampagnen hatten sich die Provinzregierung von BC, First Nations, die im Gebiet tätigen Forst- und Papierkonzerne und die drei Umweltschutzgruppen Sierra Club BC, Greenpeace und ForestEthics (zusammengeschlossen als Rainforest Solutions Project) gemeinsam an einen Tisch gesetzt, um trotz aller schwerwiegender Interessenskonflikte eine Einigung zu erzielen. Zum 31. März 2009 wurden dann – mit einer sechsmonatigen Übergangsfrist – unter anderem neue Holzeinschlagsregeln nach dem Ecosystem-Based Management (EBM) rechtsverbindlich eingeführt und ein neuer Fahrplan für weitere Naturschutzmaßnahmen vorgestellt. „Great Bear Rainforest Success!“ hieß damals die Schlagzeile der Mitteilung des Sierra Club BC. „Celebration! Great Bear Rainforest protected“ titelte Greenpeace Canada. Mit zu den positiven Seiten der Abkommen gehört der beträchtliche Zugewinn an Schutzfläche und die Einrichtung des Coast Opportunity Fund mit 120 Millionen CAD, der vor allem ökonomischen Entwicklungsmöglichkeiten der First Nations dienen soll. Abgesehen von der Ausweisung von Schutzgebieten ist es ein sehr zäher Prozess, dem weiteren zentralen Schutzziel näherzukommen, nämlich 70 % des natürlichen Anteils des Küstenurwaldes vom Holzeinschlag zu verschonen und aus der industriellen forstwirtschaftlichen Nutzung herauszunehmen. So sollen letztendlich wenigstens 63 % der Waldflächen erhalten werden (natürlicherweise sind rund 90 Prozent des Regenwaldes im Urwaldzustand). Vor Abschluss des Great Bear Rainforest-Abkommens im Februar 2006 waren im Planungsgebiet des Great Bear Rainforest mit einer Größe von 6,4 Millionen Hektar (Central Coast and North Coast Land Use Zones) nach Regierungsangaben nur 9 % der Flächen in Parks geschützt, nach Angaben der drei Umweltschutzgruppen waren es lediglich 7 % (443.000 Hektar). Durch das Abkommen wuchs die Schutzfläche auf insgesamt 28 % der Gesamtfläche an, im Nordküstengebiet (North Coast Land and Resource Management Plan, LRMP) von 3 % auf 21 %, im zentralen Küstenbereich (Central Coast LRMP) von 11 % auf 18 % (vgl. nachfolgende Abb. 1). Dies ist ein wesentlicher Erfolg der drei Umweltschutzgruppen, die an den Verhandlungen beteiligt waren. Zugleich wurden im Great Bear Rainforest-Abkommen sogenannte „Biodiversitätsgebiete“ (Biodiversity, Mining and Tourism Areas, BMTAs) ausgewiesen, in denen der kommerzielle Holzeinschlag zwar verboten ist, der Wald jedoch für Bergbauprojekte und für touristische Erschließungsmaßnahmen gerodet werden darf. Bergbau und Tourismusprojekte sind erlaubt, sofern sie dem Schutzzweck nicht widersprechen. Laut Verordnung ist das primäre Ziel in diesen Gebieten die Biodiversität und die kulturellen Werte der First Nations zu bewahren, andere Nutzungen müssen mit diesen Zielen vereinbar sein. Erst die Zukunft wird zeigen, inwieweit diese Gebiete wirklich als Schutzgebiete bezeichnet werden können. Diese Flächen betragen 5 % der gesamten Planungsfläche.
 
Abb. 1
Das Planungsgebiet des Great Bear Rainforest mit einer Größe von 6,4 Millionen Hektar.
Quelle: Regierung von British Columbia. Die Mining/Tourism Areas werden jetzt als
Biodiversity, Mining and Tourism Areas, BMTAs bezeichnet © www.gov.bc.ca
 
Zu den negativen Seiten gehört, dass für 67 % der Flächen des Great Bear Rainforest die Holzeinschlagsregeln gemäß EBM gelten und dass dort die Kahlschlagsforstwirtschaft mit nur geringfügigen Einschränkungen weitergehen darf. So mussten die Konzerne Interfor, Western Forest Products und BC Timber Sales nicht wirklich viel von ihren Kahlschlagspraktiken abweichen. Bei voller Umsetzung der EBM-Regeln wird der Anteil der Waldfläche, die nicht eingeschlagen werden darf, schrittweise erhöht werden. Dies stellt für die Forstkonzerne einen Einschnitt dar. Eines der im Gebiet tätigen Forstunternehmen, Timber West, hat die EBM-Regeln ohnehin von Beginn an vehement abgelehnt. Die drei Umweltschutzorganisationen kritisieren nun eindringlich, dass immer noch auf zu vielen Waldflächen Kahlschlagsforstwirtschaft möglich ist und sie fordern, dass die formulierten Schutzziele beschleunigt umgesetzt werden müssen. Ernüchterung scheint sich breit zu machen auch deshalb, weil die Provinzregierung von BC unter der jetzigen Premierministerin Christy Clark Fristen für gegebene Versprechen schon längst verstreichen ließ. In einer Presseerklärung der drei Gruppen vom 7. Februar heißt es: „Today marks the 6th anniversary of the Great Bear Rainforest Agreements, an initiative that was lauded across B.C. and around the world for its commitment to preserve this rare rainforest. But instead of celebrating, environmental groups are warning that current rules still allow logging in 50 per cent of the Great Bear Rainforest.“ (Only half of Great Bear Rainforest off-limits to logging, 6 years after historic agreement. Environmental groups call on premier to finish the job on anniversary of agreement, Vancouver, 7.2.2012).
Patrick Armstrong, Vertreter der Forstkonzerne, beschwichtigt indessen und betont, dass die Konzerne bis 2013 die Schutzziele erreichen könnten, wenn auch die Provinzregierung ihren Teil an der Arbeit machen würde. Er wirft den Umweltschutzgruppen vor, voreilig Druck zu machen. „We don’t think there is any need to put pressure on the government … In the context of all the restrains on budgets, the government is fully engaged“, erklärte er gegenüber Gordon Hamilton in der Vancouver Sun vom 8.2.2012 (Eco groups urge government to complete protection promise for Great Bear Rainforest). Im Frühjahr 2013 werden in BC Wahlen stattfinden und es ist zu befürchten, dass Premierministerin Christy Clark die versprochene Umsetzung der Schutzziele bis nach den Wahlen hinauszögern wird. Feierten einst die drei Umweltschutzgruppen das Great Bear Rainforest-Abkommen bereits als riesigen Erfolg und Meilenstein zum Schutz der Urwälder, ja als potenzielles Modell für Urwaldgebiete weltweit, wird jetzt das Abkommen sehr vorsichtig als „transition plan with specific milestones along the way“ bezeichnet, wie z. B. von Valerie Langer von ForestEthics. Im neuen Update der drei Gruppen vom Februar 2012 (Take it taller. Great Bear Rainforest Overview, February 2012) heißt es: „In March 2009 all parties committed to new milestones to increase conservation and improve human well-being in coastal communities. Some of these milestones are seriously delayed, creating an urgent need to speed up the implementation process. Premier Christy Clark must demonstrate leadership by committing to wrapping up the full implementation of the Great Bear Rainforest Agreements.“
Am 7. Februar 2012, dem 6. Jahrestag der Unterzeichnung des Abkommens, schrieben die drei Umweltschutzgruppen einen offenen Brief an die Premierministerin von BC, Christy Clark: „The Agreements have yet to be fully implemented“, heißt es in diesem Brief (Open Letter to Premier Christy Clark on the Implementation of the February 7, 2006 Great Bear Rainforest Agreements). „Interim conservation milestones agreed to in March 2009 are still not in place. The current increase in logging means that rainforest and critical habitat of Northern Goshawk and other focal species required to be set aside under the outstanding conservation step could get logged. In addition, climate change is increasing the pressure on ecosystems and species … The Great Bear Rainforest Agreements were celebrated in 2006 and 2009 as conservation models the world can learn from. If they remain only half finished, the Agreements sentence the Great Bear Rainforest to inevitable decline. Only if the agreed-to measures and initiatives are fully implemented sooner rather than later, will people of this province and the world look at them as a success, and not an empty promise.“
 
  Unberührter Küstenregenwald im Great Bear Rainforest © Klaus Pommerenke  
 
„So long as only 50 per cent of the Great Bear Rainforest is off-limits to logging, the whole forest remains at risk“, sagte Jens Wieting vom Sierra Club BC. Nach den Zahlen der drei Umweltschutzgruppen müssen noch 20 % mehr von dem natürlicherweise vorkommenden Urwaldanteil in der Region geschützt werden, um das von Wissenschaftlern des Coast Information Teams (CIT) als notwendig erachtete Schutzziel von 70 % zu erreichen. „The science is very clear that we need to protect about 70 per cent of the natural level of old-growth forest if we want to save the Great Bear Rainforest from inevitable decline“, erklärte Eduardo Sousa von Greenpeace in der Presseerklärung. „The longer we wait to do this, the less likely it is we’ll be able to save the Great Bear Rainforest as we know it.“ Schon 2004, lange vor Abschluss des Great Bear Rainforest-Abkommens hatten die Wissenschaftler des Coast Information Teams erkannt, dass ein geringes Risiko für die ökologische Integrität und den Fortbestand der Artenvielfalt im Great Bear Rainforest nur dann gegeben ist, wenn mindestens 70 % des natürlich vorkommenden Urwaldanteils aller Waldökosysteme erhalten wird (vgl. www.citbc.org/index.html). Von diesem angestrebten Schutzziel ist man noch ein gutes Stück entfernt, auch wenn die drei Umweltschutzgruppen angeben, dass man diesem Ziel schon ziemlich nahe gekommen sei. In ihrem neuen Update vom Februar 2012 schreiben die drei Gruppen, dass nur noch 12 % mehr der Waldfläche im Great Bear Rainforest zusätzlich vor Abholzung geschützt werden müssen, um das vom CIT als notwendig erachtete Schutzziel von 70 % Schutzflächen zu erreichen (70 % des natürlich vorkommenden Urwaldanteils entspricht etwa 63 % der absoluten Waldfläche). Nur hierüber sei von einem geringen Risiko für den dauerhaften Fortbestand der Artenvielfalt auszugehen. Die drei Gruppen schreiben, dass bereits jetzt 33 % (2,1 Millionen Hektar) der Flächen im Great Bear Rainforest geschützt seien, bzw. 31 % der Waldgebiete. Tatsächlich sind nur ca. 28 % der Flächen Schutzflächen (etwa 1,813 Millionen Hektar) und der innerhalb dieser Flächen wachsende Wald ist vor Abholzung geschützt, in den Klasse A-Parks und den Conservancies. Die sogenannten „Biodiversitätsgebiete“ (BMTAs) mit einer Fläche von knapp 300.000 Hektar (5 % der Fläche im Great Bear Rainforest) schlagen die drei Umweltschutzgruppen den Schutzgebieten zu. Es ist zweifelhaft, ob die BMTAs wirklich als vollwertige Schutzgebiete bezeichnet werden können. In diesen Gebieten ist schließlich lediglich der kommerzielle Holzeinschlag verboten. Die Abholzung der Urwälder für Bergbauprojekte, zur Schaffung der Infrastruktur zum Bau kleinerer Wasserkraftwerke, die nicht an das allgemeine Stromnetz angeschlossen werden, zum Bau von Verladerampen, Lagerflächen und Zufahrtsstraßen zu Bergwerken, für den Bau von Stromleitungen, kleinerer Windparks und zur touristischen Erschließung für den Bau von Lodges und Hotels ist jedoch erlaubt. Bislang liegen noch keine offiziellen Zahlen darüber vor, wie viel Urwaldflächen in den ausgewiesenen BMTAs seit der Ratifizierung des Great Bear Rainforest-Abkommens bereits zerstört worden sind und wie viel Urwaldflächen in naher Zukunft für geplante Bergbauprojekte und Infrastrukturmaßnahmen noch verloren gehen werden. Bei der extrem bergbaufreundlichen Provinzregierung von BC ist zu befürchten, dass überall dort, wo sich Bergbau lohnen könnte, der Urwald der Erschließung von Bodenschätzen geopfert werden wird. „B.C. budget risks water & environment for mining rush“, heißt die Überschrift einer Pressemitteilung des Sierra Club vom 21. Februar. Zur geplanten Erleichterung von Bergbauvorhaben und zum schwer industrielastigen Haushalt auf Kosten von Geldern für den Umweltschutzbereich schrieb George Heymann vom Sierra Club BC: „… this budget fast-tracks mining projects while cutting regulatory provisions that clearly exist to protect the public interest … There is no vision here for a sustainable economy that protects our environmental assets; instead we have more raw resource extraction with reduced public interest protection.“ Als Fazit muss festgehalten werden, dass unter Auslassung der BMTAs nicht 33 oder 31 %, sondern lediglich 28 % der Flächen dauerhaft vor dem Holzeinschlag geschützt sind.
Die drei Umweltschutzgruppen erwähnen in ihrem aktuellen Update vom Februar 2012 leider nicht, dass im Gebiet der Nordküste (North Coast Land and Resource Management Plan) die Fläche der Schutzgebiete nur 24 % beträgt, die der BMTAs aber 10 %. Im Gebiet des Central Coast Land and Resource Management Plan liegt die Größe der Schutzgebiete bei 29 %, die der BMTAs bei 3 %. Im Bereich der Nordküste liegen z. B. große BMTA-Gebiete in den ökologisch äußerst sensiblen Zonen im Nordosten von Banks Island, im Westen von Porcher Island, nördlich des Gittoyees Inlet, nördlich des Hastings Arm und südlich des Ellis Arm.
Im gesamten Planungsgebiet des Great Bear Rainforest mit seinen 6.4 Millionen Hektar Fläche wächst etwa auf 3,7 Millionen Hektar Wald (vgl. nachfolgende Abbildungen, Grafik A und B). Die ökologisch wertvollsten, „produktivsten“ Waldökosysteme, die sich zumeist in Flusstälern befinden und in denen die Bäume am schnellsten und höchsten wachsen, kommen nur auf etwa 250.000 Hektar der Region vor. Der größte Teil der auch für die Industrie besonders wertvollen Urwaldriesen dieses Waldtyps ist bereits im Laufe der letzten Jahrzehnte den Kettensägen der Forstindustrie zum Opfer gefallen und durch nachwachsende Sekundärwälder ersetzt worden. Folgt man den Angaben der drei Umweltschutzgruppen (trotz der Bedenken, die BMTAs den Schutzgebieten zuzurechnen), so sind von den 3,7 Millionen Hektar Wald 31 % geschützt (ca. 1,15 Millionen Hektar). 37 % der Waldflächen, das sind etwa 1,369 Millionen Hektar, können
 
Quelle: © ForestEthics, Greenpeace, Sierra Club BC. Great Bear Rainforest Update November 2009.
Key Milestones Achieved March 2009 and Five-Year Plan 2009 – 2014
 
gemäß den EBM-Regeln in den nächsten Jahren noch kahlgeschlagen werden, eine erschreckend große Fläche. In ihrem Update vom Februar 2012 gehen die drei Gruppen davon aus, dass durch die sogenannten Land Use Objectives, die rechtsverbindlich sind (LUOs; Central and North Coast Order, March 2009. Consolidated Version. For Communication Only; Background and Intent Document for the South Central Coast and Central and North Coast Land Use Objectives Orders; South Central Coast Order, March 2009. Consolidated Version. For Communication Only) weitere 20 % des Waldes im Planungsgebiet des Great Bear Rainforest geschützt sind. Dies sind gemessen an den 3,7 Millionen Hektar Gesamtwaldfläche rund 740.000 Hektar. Jens Wieting vom Sierra Club BC bestätigte, dass es wirklich 740.000 Hektar sind, obwohl in den Updates meist nur die Zahl von 700.000 Hektar genannt wird. Die Lücke, die zum erklärten Ziel von 70 % des natürlichen Urwaldanteils eines jeden vorkommenden Waldökosystems noch klafft, liegt nach Angabe der Umweltgruppen bei rund 12 % (440.000 Hektar).
Ohne die Kontrolle der Forstkonzerne ist kaum davon auszugehen, dass gemäß dieser LUOs tatsächlich 20 % des Waldes vor Abholzung verschont bleiben. Bei stark gestiegenem Holzpreis, einem boomenden Holzexport nach Asien und zugleich nahezu völligem Fehlen von Kontrollen der Forstkonzerne durch die Provinzregierung steht dem illegalen Holzeinschlag – wie in der Vergangenheit leider passiert – wenig im Wege. Zwar müssen die Holzkonzerne in ihren Einschlagsplänen darlegen, dass die unter EBM geforderte Waldfläche in jeder Landschaftseinheit von der Nutzung unbeeinträchtigt bleibt, doch die Kontrolle hierüber fehlt. Jahrelange Kürzungen und Stellenreduzierungen bei der Provinzregierung führten dazu, dass finanzielle Mittel fehlen, um eine unabhängige Kontrolle zu gewährleisten. Den drei Umweltschutzorganisationen selbst dürften ebenfalls die Finanzmittel fehlen, die Forstkonzerne bei ihrem tatsächlichen Holzeinschlag im Wald zu kontrollieren. Auch ob in den Gebieten, in denen die Holzeinschlagsregeln des EBM gelten, jemals die planerisch errechneten 740.000 Hektar Wald vom Kahlschlag verschont bleiben werden, ist noch nicht gänzlich sicher.
 
  Küstenregenwald in einem Flusstal mit uralten Bäumen © Klaus Pommerenke  
 
In einem Update der drei Gruppen vom Mai 2010 wird auch der Schutzstatus für die biologisch produktivsten Waldgebiete (very productive forest areas) dargestellt. Von diesen „very productive forest areas“ gibt es im gesamten Planungsgebiet des Great Bear Rainforest nur 250.000 Hektar. Von diesen 250.000 Hektar sind – wieder unter der zweifelhaften Hinzunahme der Wälder in den BMTAs – sogar nur 14 % geschützt (nur 35.000 Hektar). Durch die LUOs kommen weitere 28 % hinzu (70.000 Hektar). Von diesen Wäldern mit unschätzbarem ökologischen Wert, diesen kostbarsten Juwelen und absoluten biologischen Raritäten sind derzeit leider nur 42 % (rund 107.000 Hektar) vor dem Einschlag geschützt. Dies stellt ein nicht zu vertretendes Risiko dar. Die verbleibende Lücke zum formulierten Schutzziel mit geringem Risiko für den überdauernden Fortbestand dieser Ökosysteme beträgt bei diesen ökologisch wertvollsten Waldsystemen leider noch 16 % (40.000 Hektar).
Da schon vor der Einigung 2006 die meisten dieser besonders produktiven Waldtypen eingeschlagen und somit in Sekundärwälder umgewandelt wurden, sind die verbliebenen Urwälder dieser Kategorie nun zwar in den meisten Teilen der Region vor Holzeinschlag geschützt. Doch damit die ökologische Integrität dieser besonders seltenen und wertvollen Waldtypen langfristig wieder hergestellt werden kann, ist es besonders wichtig, ältere Sekundärwälder aus der Nutzung zu nehmen, damit sie irgendwann einmal wieder Urwaldcharakter entwickeln werden. Dies ist besonders wichtig im Gebiet der South Central Coast. In diesem Südzipfel der Planungsregion gibt es nur auf 12 % der Fläche Schutzgebiete. Urwälder sind die Ausnahme, es existieren fast nur noch Sekundarwälder. Im Gebiet, für welches Timber West Holzeinschlagsrechte besitzt, sind von ökologisch wertvollen, „produktiven“ Waldgebieten, die in niedrigen Höhenlagen wachsen, nur noch etwa 10 % im Urwaldzustand. Im Gebiet der South Central Coast ist die Lücke zum formulierten Schutzziel am größten. Es ist auch offen, ob die „Rückverwandlung“ von Sekundärwaldflächen in urwaldähnliche Waldökosysteme jemals im angemessenen Zeitrahmen gelingen kann.
Von der Provinzregierung unter Christy Clark haben die Forstkonzerne wohl keine schwerwiegenden Konsequenzen zu befürchten, wenn sie die Vorgaben der LUOs nicht einhalten werden. Eine Nichtbeachtung der LUOs wäre zwar illegal und könnte geahndet werden, doch wer hätte ein Interesse zu klagen? Die Umweltschutzgruppen selbst müssten gegebenenfalls eine Klage gegen diese Forstkonzerne einreichen, eine sicherlich delikate und unbequeme Aufgabe, da sowohl die Umweltschutzgruppen wie auch die Forstkonzerne „Vertragspartner“ bzw. Mitunterzeichner des Great Bear Rainforest-Abkommens sind.
Ein weiteres Problem ist, dass die Provinzregierung zumindest jetzt vor den Wahlen kein gesteigertes Interesse hat, die eigenen Versprechen komplett zu erfüllen, die sie im Rahmen der Einführung des EBM zum 31.3.2009 abgegeben hat. Damals hatte sich die Provinzregierung verpflichtet, zwei Dokumente auszuarbeiten, die für den Artenschutz im Great Bear Rainforest von großer Bedeutung sind:
  • Das sogenannte Strategic Landscape Reserve Design (SLRD), eine Zusammenstellung der Gebiete, die vom Holzeinschlag ausgenommen werden sollen und
  • die sogenannte Focal Species Gap Analysis, um herauszufinden, ob und wo zusätzliche Gebiete vor Abholzung geschützt werden müssen, damit das Überleben einiger wichtiger Tierarten, denen innerhalb des Ökosystems eine gewisse Schlüsselfunktion zukommt, gesichert werden kann.
Diese Arten sind Marmelalk (Marbled Murrelet, Brachyramphus marmoratus), Habicht (Northern Goshawk, Accipiter gentilis laingi), Grizzlybär (Grizzly Bear, Ursus arctos), Schwanzfrosch (Coastal Tailed Frog, Ascaphus truei) und Schneeziege (Mountain Goat, Oreamnos americanus).
Die Ausarbeitung dieser beiden Dokumente hat die Provinzregierung entweder zum Schutz der Forstwirtschaftsinteressen bewusst unterlassen oder fahrlässig hinausgezögert. Die mögliche weitere Vernichtung wichtiger Lebensräume bedrohter Arten nimmt die Regierung hierbei billigend in Kauf. Auf der gemeinsamen Website von ForestEthics, Greenpeace und Sierra Club BC, dem „Rainforest Solutions Project“ (www.greatbearwatch.ca) tickt unerbittlich die Uhr, welche die Anzahl der Tage anzeigt, die seit dem nicht eingelösten Versprechen der Provinzregierung von BC vergangen sind: „Today priority conservation measures are 888 days behind schedule [Stand: 5. März 2012]. A currant increase in timber prices creates added pressure to log in unprotected areas. The BC government must fulfil its commitment to map critical forests and species habitat ASAP [as soon as possible], or forest companies may soon be submitting logging plans without incorporating this crucial information. Real, on-the-ground change will depend on whether the province takes decisive action to meet its commitments.“ Im aktuellen Update (Great Bear Rainforest Overview, February 2012) heißt es hierzu unter der Überschrift ‚Interim habitat conservation measures seriously delayed‘: „A key commitment in the 2009 Great Bear Rainforest Agreement’s was to map and set aside a network of forests and critical habitat for five species of conservation concern outside protected areas. This reserve network was scheduled to be in place by September 2009 – over two years ago … This crucial piece of work has still not been completed. This delay raises particular concern for Marbled Murrelet and Northern Goshawk who are already facing a critical lack of habitat, particularly in the southern part of the Great Bear Rainforest. Analysis of Northern Goshawk habitat indicates that not enough is being set aside for this key species in parts of the region.“
Zwischenzeitlich wurden nach jüngsten Informationen des Sierra Club BC von der Provinzregierung für 88 von 146 Landschaftseinheiten „Reservate“-Kartierungen vorgenommen (und modellhaft für die ganze Region). Auch die Focal Species Gap Analysis sei erstellt worden. Letztere muss jetzt allerdings noch von den First Nations nochmals überprüft und gegebenenfalls modifiziert werden, was Zeit kosten wird.
Die Regierung von Premierministerin Christy Clark zeigt keinen Willen, die ausstehenden Arbeitsschritte vollends abzuschließen. So kann der Holzeinschlag weitergehen, ohne dass wertvolle Waldgebiete und Lebensräume bedrohter Tierarten angemessen kartiert sind. Diese ökologisch wertvollen Gebiete sind ohne diese Kartierung nicht wirklich geschützt. Es ist zu befürchten, dass Gebiete, die noch nicht kartiert sind, für immer verschwinden werden, weil die Forstindustrie vollendete Tatsachen schafft. Bei der äußerst einseitig an Wirtschaftsinteressen orientierten Politik von Christy Clark, bei der die Schaffung von Arbeitsplätzen um fast jeden Preis absolute Priorität hat, bleiben Umweltschutzbelange auf der Strecke.
Ein Beispiel dafür, wie die Forstwirtschaft im Great Bear Rainforest außerhalb der aus der Nutzung genommenen Gebiete immer noch ganz legal gemäß den EBM-Regeln wüten kann, ist der brutale Holzeinschlag von Timber West, der im Sommer 2011 von den drei Umweltschutzgruppen dokumentiert wurde (vgl. Meldung vom 24.7.2011 auf dieser Website). Trotz dieser schockierenden Bilder wird auch im aktuellen Update wieder der völlig verharmlosende Begriff des „lighter touch logging“ herangezogen. Unter der Überschrift „Key milestones achieved March 2009“ wird dieses „lighter touch logging based on Ecosystem-Based Management implemented“ folgendermaßen angepriesen:
„The transitional logging regulations made legal in March 2009 require that:
  • the amount of old-growth forest that can be logged across the landscape, in each watershed, and in each ecosystem type is restricted; over the entire region 50 percent of the natural level of old-growth forest of each ecosystem type has to be maintained – or restored where forests have been heavily logged. This so called ‚moderate risk management‘ translates into an additional 700,000 hectares of forest set aside from logging.
  • estuaries, streams, wetlands, and lakes are afforded more protection with increased forested buffers
  • large portions of grizzly bear habitat will be maintained
  • First Nations cultural features will be protected, and monumental cedar for First Nations use will be maintained“
Das sogenannte lighter touch logging gemäß den EBM-Regeln. Gray landscape unit, Timber West tenure, South Central Coast, Great Bear Rainforest, Juni 2011
© Garth Lenz, www.garthlenz.photoshelter.com, with aerial support by Lighthawk
 
Timber West hat sich bei der Einführung der Holzeinschlagsregeln gemäß EBM zum 31.3.2009 quergestellt, ist jedoch wie alle anderen im Gebiet des Great Bear Rainforest tätigen Konzerne nach Ablauf der sechsmonatigen Übergangsfrist zur Implementierung dieser Regeln seit 1. Oktober 2009 rechtlich daran gebunden. Die Bilder von den brutalen Kahlschlägen entlarven am besten, wieso es sich bei dem gepriesenen Begriff lighter touch logging um einen bewusst irreführenden Etikettenschwindel handelt. Die dokumentierten Holzeinschlagspraktiken von Timber West sind (wohl größtenteils) ganz legal und zeigen, welch verheerende Umweltzerstörung Sierra Club BC, Greenpeace und ForestEthics als lighter touch logging gemäß den EBM-Regeln durchgehen lassen müssen. „It’s not a violation, in terms of legal activity“, erklärte Jens Wieting. „But it’s in an area that has already seen most of its old growth forest converted to second growth forest and it’s going to be important, that they do something immediately and voluntarily.“ Auch Valerie Langer von Forest Ethics sagte: „What you are seeing in those photographs is not illegal.“ Im aktuellen Update der drei Gruppen wird die Hoffnung geäußert, dass sich der zerstörerische Einschlag von Timber West vielleicht bald etwas zum Besseren ändern könnte: „The company came under new ownership in June 2011 and recently ‚committed to working toward the full implementation of Ecosystem-Based Management [letter to ForestEthics, Greenpeace and Sierra Club BC, October 14, 2011] in their Great Bear Rainforest tenure. We expect Timber West to follow through on its stated committment.“ Im aktuellen Management Plan No. 4 für die Tree Farm Licence 47 vom 12. Januar 2012 verweist Timber West wie üblich sehr allgemein auf die EBM-Vorgaben des Central Coast LRMP und die South Central Coast Order, macht darüber hinaus jedoch keinerlei weitere Zugeständnisse – wieso auch, ihr Holzeinschlag ist ja auf den ersten Blick ganz legal. Vielleicht können die Boykottaufrufe gegen Timber West (wegen Ankauf von Holz aus stark bedrohten Küstendouglasien-Wäldern bei Nanoose Bay auf Vancouver Island) ebenfalls dazu beitragen, diesen Konzern zum Einlenken zu bewegen.
Für Forstwissenschaftler im deutschsprachigen Raum (Schweiz, Österreich und Deutschland) ist es geradezu eine Ungeheuerlichkeit, Kahlschläge dieser Art als „lighter touch logging“ zu bezeichnen, als einen Holzeinschlag, der unter Wahrung gewisser ökologischer Gesichtspunkte erfolgt ist oder als Holzeinschlag „unter verschärften Bedingungen“ für die Forstwirtschaft. Der Begriff „lighter touch logging“ für brutale Kahlschläge mit 15 oder mehr Hektar Größe stößt in Deutschland bei Umweltschutzverbänden wie auch Forstwissenschaftlern nicht nur auf absolutes Unverständnis, sondern auf heftige Ablehnung. Forstamtsleiter und Waldbesitzer sähen sich einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt, nicht alleine deshalb, weil sie Kahlschläge dieser Art durchführen ließen, sondern vor allem deshalb, weil sie diese als „leichte Eingriffe“ herabzuspielen versuchten. Umwelt- und Naturschutzverbände würden sie sofort massiv der Unredlichkeit bezichtigen. Es ist deshalb mehr als wünschenswert und längst überfällig, dass sich Sierra Club BC, Greenpeace und ForestEthics von diesem irreführenden und verharmlosenden Begriff des lighter touch logging wieder verabschieden und einen Begriff hierfür wählen, welcher der Realität entspricht. Es könnte ein Gewinn an Glaubwürdigkeit für die drei Organisationen sein, wenn sie die Holzeinschläge nach EBM-Regeln im Great Bear Rainforest als das bezeichnen würden, was sie derzeit sind und auch in Zukunft bleiben werden: Als gesetzeskonforme Riesenkahlschläge.
Leichte forstwirtschaftliche Eingriffe, ein lighter touch logging, welches den Namen tatsächlich verdienen würde, sähe völlig anders aus, als das, was die drei Umweltschutzgruppen unter diesen Begriff zu fassen versuchen. Ein Beispiel hierfür ist der Holzeinschlag im Plenterwald. Solche Wälder finden sich vor allem in der Schweiz, im Schwarzwald, im Allgäu und im Bayrischen Wald. Gerade in der Schweiz gibt es seit langem eine vorbildliche, naturnahe, nachhaltige und auch ökonomisch erfolgreiche Plenterwald-Bewirtschaftung. Nicht nur in der Schweiz rechnet sich die Plenterwaldwirtschaft: Der erhöhte Aufwand bei der Holzernte wird kompensiert durch eine günstigere Ertragsstruktur und den weitgehenden Wegfall von Pflegemaßnahmen in diesen stabilen und resistenten Wäldern.
Wünschenswert wären auch häufigere Kontrollen unabhängiger Stellen in den Holzeinschlagsgebieten im Great Bear Rainforest sowie häufige Inspektionen des tatsächlich stattfindenden Holzeinschlages vor Ort im Wald, „on the ground“. Auch die drei Umweltschutzgruppen sollten sich daran beteiligen, um sich ein eigenes Bild machen zu können. Nur hierüber kann die Einhaltung der EBM-Regeln gewährt werden. Man sollte nicht auf sporadische Kontrollen unterversorgter und forstwirtschaftsfreundlicher Regierungsstellen warten und diesen blind vertrauen. Die Öffentlichkeit wartet immer noch auf Bilder, die positive Beispiele des Holzeinschlages nach EBM-Regeln zeigen. Weder die im Great Bear Rainforest tätigen Forstkonzerne noch die drei Umweltschutzgruppen können bislang solche Positivbeispiele vorzeigen. Der Holzeinschlag von Timber West nach EBM-Regeln zeigt jedenfalls die gleichen brutalen Kahlschläge wie immer, Kahlschläge, die man einst vehement bekämpft hat. Wo bleibt die Glaubwürdigkeit, wenn man diese Form der Kahlschläge früher als brutale Forstwirtschaftspraktiken zu boykottieren versuchte, die gleiche Form dieser Kahlschläge jetzt aber als lighter touch logging gemäß EBM-Regeln bezeichnet? Nichts könnte die Öffentlichkeit mehr davon überzeugen, dass sich in der Forstwirtschaft im Great Bear Rainforest etwas zum Besseren verändert hat, als positivere Bilder der „neuen“ Holzeinschlagspraktiken gemäß EBM. Solche Bilder hätten mehr Überzeugungskraft als 100 Presseerklärungen, Schaubilder und Grafiken. Auch die Forstkonzerne könnten durch solche Bilder einen beträchtlichen Imagegewinn erzielen. Hunderttausende Hektar Wald wurden zwar aus der forstwirtschaftlichen Nutzung herausgenommen, doch leider ist zu vermuten, dass auch weiterhin fast ausschließlich die seit Jahrzehnten vertrauten Kahlschlagsbilder aus dem Great Bear Rainforest die Öffentlichkeit erreichen werden, die Entsetzen auslösen, Wut und Zorn aufkommen lassen und den Boden bereiten für weitere Boykottmaßnahmen für Hölzer aus BC – auch wenn sie nach den EBM-Regeln eingeschlagen wurden oder sogar das FSC-Zertifikat haben.
 
Kahlschläge wie diese aus dem Jahr 2008 wurden vor Implementierung der EBM-Regeln vehement
bekämpft © Ingmar Lee, 2008
 
Kahlschläge wie diese werden jetzt als lighter touch logging gemäß den EBM-Regeln bezeichnet. Sie unterscheiden sich nicht von den früheren Kahlschlägen. Gray landscape unit, Timber West tenure, South Central Coast, Great Bear Rainforest, Juni 2011
© Garth Lenz, www.garthlenz.photoshelter.com, with aerial support by Lighthawk
 
Bei kritischer Betrachtung eines der Kahlschlagsbilder kommen jedoch bereits Zweifel, ob Timber West tatsächlich die LUOs für den Holzeinschlag um Seen und Sumpfgebiete im Wald eingehalten hat. Bei dem kleinen See in Bildmitte wurde der Wald bis fast unmittelbar an das Ufer heran komplett kahlgeschlagen. Der Mindestabstand der 1,5-fachen Höhe der dominanten Bäume ringsum dürfte – soweit anhand des Luftbildes beurteilbar – nicht überall eingehalten sein. Selbst die erlaubte Verkleinerung der Pufferzone um Seen herum auf nur einfache Baumhöhe scheint am rechten Seeufer unterschritten worden zu sein, ein möglicher Verstoß gegen die South Central Coast and Central and North Coast Land Use Objectives Orders (10. Objectives for aquatic habitat that is not high value fish habitat; 11. Objectives for forested swamps). Diese Luftbilder zeigen einmal mehr, wie dringend erforderlich die Kontrolle der Forstkonzerne ist, damit auch nur die absoluten Mindestvorgaben des EBM eingehalten werden.
 
Kahlschlag im Great Bear Rainforest aus dem Jahr 2006, welcher die Praktiken der Forstwirtschaft
in BC vor Einführung der EBM-Regeln zeigt © Ian McAllister, Pacific Wild, 2006
 
Neue Kahlschläge, jetzt als sogenanntes lighter touch logging gemäß den EBM-Regeln bezeichnet, die sich nicht von früheren Kahlschlägen unterscheiden. Fraglich ist, ob die Pufferzone an Wald zum Seeufer hin wirklich überall eingehalten worden ist. Gray landscape unit, Timber West tenure, South Central Coast, Great Bear Rainforest, Juni 2011
© Garth Lenz, www.garthlenz.photoshelter.com, with aerial support by Lighthawk
 
Im Dezember 2009 erhielten die drei Forstkonzerne Western Forest Products, Interfor und BC Timber Sales leider vom Zertifizierter Smartwood das FSC-Zertifikat für den Holzeinschlag auf einem 846.395 Hektar großen Gebiet in der Mid Coast Timber Supply Area im Great Bear Rainforest. Bislang sind auf den Websites der Forstkonzerne noch keine Bilder von diesem Holzeinschlag nach FSC-Regeln aufgetaucht und auch die drei Umweltschutzorganisationen lieferten bislang noch keine Bilder von solchen Holzeinschlagsflächen. Derzeit ist unbekannt, ob die Forstkonzerne die FSC-Kriterien für den Holzeinschlag in ihren Gebieten überhaupt einhalten (Forest Stewardship Regional Certification Standards for British Columbia. Main Standards. October 2005; Forest Stewardship Council (FSC) Regional Certification Standards for British Columbia, Draft 3. April 22, 2002). Der forstwirtschaftsfreundliche Zertifizierer Smartwood muss zwar jährlich die Forstkonzerne auf Einhaltung der FSC-Regeln überprüfen, doch dank seiner nicht wirklich objektiven Bewertung sind von seiner Seite aus kaum zuverlässige Einschätzungen zu erwarten. Im Gegensatz zum deutschen FSC-Standard (Version 2.2 vom 2.2.2011) ist der FSC-Standard für BC auch in seinem dritten Entwurf in einigen wichtigen Punkten zu Gunsten der Forstindustrie abgeschwächt. So dürfen in BC gemäß dem FSC-Standard immer noch 5 % der neuen Holzeinschlagsflächen in Holzplantagen bzw. Holzäcker verwandelt werden (Punkt 6.10.1). Holzäcker mit einer einzigen Baumart gleichen Alters (Monokulturen) sind nicht grundsätzlich verboten (Punkt 10.3), die Vielfalt der Baumarten in den Plantagen wird lediglich bevorzugt („is preferred“). Die Holzäcker dürfen sogar 10 % der Flächen ausmachen, die innerhalb einer „Management Unit“ an Holzeinschlagsfläche vorhanden ist und sogar bis zu 30 % der Fläche eines biogeoklimatischen Ökosystems (Biogeoclimatic Ecosystem Classification, BEC) innerhalb einer „Management Unit“. Lediglich Holzäcker, die nach 1994 auf früheren Urwaldgebieten angelegt wurden, sollen „normalerweise“ nicht mehr zertifiziert werden, eine wachsweiche Bestimmung. Auf 7 bis 10 % der Holzeinschlagsflächen darf es zu schädlichen Bodenveränderungen bzw. Bodenzerstörungen kommen (detrimental soil disturbance), z. B. beim Einsatz schwerer Maschinen auf Kahlschlagsflächen (Punkt 6.3.14). Der wichtige Punkt 6.3.12 im deutschen FSC-Standard fehlt im FSC-Standard für BC komplett: „Die Nutzung [der Bäume] erfolgt einzelstamm- bis gruppenweise; Kahlschläge werden grundsätzlich unterlassen.“ Ausnahmen hiervon sind im deutschen FSC-Standard nur im Kleinstwaldbesitz bis zu einer Hiebsgröße von einem Hektar möglich. Bei den FSC-Standards für BC ist das, was landläufig als Kahlschlag bezeichnet wird, durchaus erlaubt. Lediglich im Punkt 6.3.9 wird für jeden „cutblock“ (über 200 m breit, Gesamtfläche 100 Hektar) eine erschreckend kleine Mindestzahl von „Alibi“-Bäumen genannt (stems/ha), die stehen bleiben müssen.
Mit der Zertifizierung von 846.395 Hektar bislang unberührten Urwaldes im Herzen des Great Bear Rainforest verlor das FSC-Siegel einen Großteil seiner bisherigen Glaubwürdigkeit als Ökolabel für die Verbraucher. Darüber hinaus wurde das Ziel der Forest Stewardship Council von immer mehr Umweltschutzgruppen, die sich für eine möglichst komplette Erhaltung der letzten Urwälder dieser Erde einsetzen, äußerst kritisch in Frage gestellt. „Ziel des FSC ist die Förderung einer umweltverträglichen, sozialverträglichen und ökonomisch tragfähigen Bewirtschaftung der Wälder der Erde“, heißt es in der Einführung des Deutschen FSC-Standard (Fassung vom 28. Juli 2004). Im neuen deutschen FSC-Standard (Version 2.2 vom 2.2.2011) heißt es: „Der Forest Stewardship Council (FSC) ist eine internationale Organisation, die eine umweltgerechte, sozial verträgliche und ökonomisch sinnvolle Bewirtschaftung der Wälder dieser Welt fördert.“ Das FSC-Siegel wird als „Marketing-Instrument“ für Waldbesitzer und Betriebe der Forst- und Holzwirtschaft bezeichnet. Es geht also um die Bewirtschaftung der Wälder der Erde und nicht um den Schutz der letzten Reste der noch verbleibenden Urwälder vor Bewirtschaftungsmaßnahmen, wie kostbar und selten diese Wälder auch zwischenzeitlich sein mögen. So kommt es, dass sogar in den ökologisch wertvollsten und am meisten bedrohten Waldökosystemen, d. h. Wäldern mit hohem Schutzwert (High Conservation Value Forest Areas) immer noch Bewirtschaftungsmaßnahmen erlaubt und Zertifizierungen vergeben werden. Es wird leider nicht zur Kenntnis genommen, dass es Urwälder mit solch hohem Schutzwert gibt, die so selten geworden sind, dass sie überhaupt nicht mehr kommerziell bewirtschaftet werden sollten. Die Küstenurwälder der gemäßigten Breiten der Erde sind solche Wälder. Sie bedeckten auch vor ihrer Abholzung nur ca. 30 – 40 Millionen Hektar und somit weniger als 0,2 % der Landfläche der Erde. Bereits heute sind weltweit deutlich über 60 % dieser Küstenregenwälder abgeholzt und unwiederbringlich verloren. Das FSC-Zertifikat für die Wälder im Great Bear Rainforest trägt durch erlaubte Bewirtschaftung dazu bei, diese Restbestände noch weiter zu dezimieren. Hierfür tragen der FSC und die drei Umweltschutzgruppen, welche die FSC-Zertifizierung im Great Bear Rainforest propagierten, eine Mitverantwortung. Für europäische Verbraucher gilt nach wie vor, alle Holz- und Papierprodukte aus dem Great Bear Rainforest, auch jene mit FSC-Zertifizierung weiterhin zu boykottieren. Da an der Seriosität und Unabhängigkeit des Zertifizierers Smartwood ernsthafte Zweifel bestehen, ist jeder in BC und auch weltweit aufgerufen, alle groben oder geringen Verstöße gegen die Zertifizierungsstandards in Bildern zu dokumentieren, sie bekannt zu machen und dem FSC International nach Bonn zu melden. Im neuen deutschen FSC-Standard sind „grobe“ und „geringe“ Verstöße eines Forstbetriebes gegen die FSC-Kriterien bzw. einen bestimmten Indikator hiervon definiert und Fristen zur Korrektur dieser Verstöße genannt. Bei groben Verstößen hat ein Forstbetrieb 3 – 6 Monate Zeit zur Korrektur, behält jedoch so lange das FSC-Zertifikat. Er kann also Holz als FSC-zertifiziert verkaufen, obwohl er gegen die FSC-Vorschriften verstößt. Bei geringen Verstößen werden sogar 12 – 24 Monate eingeräumt, um Verstöße zu korrigieren. Solange kann ebenfalls Holz mit dem FSC-Zertifikat weiter verkauft werden, was zu einer Täuschung des Verbrauchers führt. In den FSC-Standards für BC sind Fristen für die Beseitigung von Verstößen gegen die FSC-Kriterien gar nicht erst aufgeführt. Die „Indicators for Compliance with FSC Principles and Criteria in British Columbia“ sind sehr allgemein und schwammig formuliert. Sie öffnen alle Türen für eine sehr wohlwollende Interpretation des Zertifizierers, um den Forstkonzernen sehr vieles noch als regelkonformen Holzeinschlag durchgehen zu lassen. Das Prinzip 8 des FSC-Standards (Kontrolle und Bewertung/Monitoring and Assessment) stellt ebenfalls kein geeignetes Instrument dar, schädliche Umweltauswirkungen des Holzeinschlages sowie negative Folgen auf Flora und Fauna zu erfassen.
Wie bedenklich es um den Status der Wälder in BC steht und wie wenig sich die Provinzregierung um die Wälder kümmert, zeigt auch der am 16. Februar vorgelegte Bericht des Auditor General von BC, John Doyle. Da der Auditor General zwar als amtlich bestellter Prüfer als unabhängig vom Forstministerium gilt, es faktisch jedoch trotzdem nicht ist, wird die Kritik an der Forstpolitik noch zurückhaltend formuliert „This report raises red flags, especially given the many old-growth forests in BC that are currently in danger of being lost forever to the chainsaws“, sagte Tria Donaldson vom WIlderness Committee. „We have been saying for years that the protection and management of BC’s forests has been inadequate, and this report from the Auditor General confirms that … We are also alarmed at the Auditor General’s assessment that species diversity could suffer in the future if current practices continue, especially because BC does not have an endangered species law.“
In dem Bericht heißt es u. a.: „The ministry had not clearly defined its timber objectives. Without clearly defining its timber objectives, the ministry cannot ensure that its management practices are effective. Existing management practices are insufficient to offset a trend toward future forests having a lower timber supply and less species diversity in some areas. The ministry does not appropriately monitor and report its timber results against its timber objectives.“
Die drei Umweltschutzgruppen Sierra Club BC, Greenpeace Canada und ForestEthics werden noch einen sehr langen Atem und viel Unterstützung benötigen, um unnachgiebigen Druck auf die Provinzregierung von BC ausüben zu können, endlich die Versprechen, die sie mit dem Great Bear Rainforest-Abkommen abgegeben hat, einzulösen. Die Taktik von Premierministerin Christy Clark, die Sache bis nach den Wahlen im nächsten Frühjahr aussitzen zu wollen, soll nicht aufgehen. Die aktuelle Petition der drei Gruppen, mit mindestens 5.000 Unterzeichnern den Druck auf die Provinzregierung zu erhöhen, ist dringend zu unterstützen. In der Petition heißt es: „The Great Bear Rainforest is one of the last of its kind in the world. Sadly, pipelines & tankers aren’t the only threats to it. B.C. made headlines six years ago when it promised to save one of the last intact coastal temperate rainforests on the planet. Today, logging is still allowed in 50 % of the Great Bear Rainforest. Let’s tell decision-makers to finish what they started. As long as only half of B.C.’s Great Bear Rainforest is protected, the whole forest is still at risk. Science is clear that at least 70 % of the natural old-growth forest needs to be off-limits to logging to save it from disappearing forever. That’s why we’re calling on the provincial government to Take It Taller. Your voice helped convince decision-makers to commit to saving the Great Bear Rainforest in 2006. Will you take action again and call on them to finish the job? Simply submit your name and email address to join a growing group of people who want the provincial government to live up to its commitment to protect the Great Bear Rainforest and support the First Nations communities that depend on it. No matter which way you cut it, we need to protect more than half the forest from logging if we want to save the whole. We’re almost there. Tell the provincial government to Take It Taller for one of the last old-growth forests of its kind, the Great Bear Rainforest.“ Bislang fand die Petition über 4.700 Unterstützer (Stand 5. März 2012) und täglich werden es mehr. Wenn Sie die Petition ebenfalls unterstützen möchten, finden Sie Möglichkeiten hierzu unter: www.savethegreatbear.org/takeittaller/support
Trotz der harschen Kritik am Begriff des lighter touch logging und der unterschiedlichen Auffassungen, ob die BMTAs mit ihren darin liegenden Waldflächen wirklich zu den Schutzgebieten gezählt werden können, ist die Arbeit der drei Umweltschutzgruppen z. B. hinsichtlich der aktuellen Petition zu unterstützen. Das gemeinsame Ziel aller, die sich für die Erhaltung des Great Bear Rainforest einsetzen, 70 % der dort natürlicherweise vorkommenden Urwaldökosysteme dauerhaft zu erhalten mit einem geringen Risiko für den Verlust der Artenvielfalt, darf nicht aus den Augen verloren werden. Dieses Ziel wird ohnehin nur – was viel zu selten erwähnt wird – etwa 63 % der gesamten Waldflächen erhalten. Der Streit über den Weg, dieses Ziel zu erreichen, hat im Vorfeld des Great Bear Rainforest-Abkommens Gräben aufgerissen und Umweltschutzgruppen entzweit. Die drei Gruppen des Rainforest Solutions Project haben sich auf eine Gratwanderung eingelassen. Die Interessen der Forstkonzerne, einer überaus forstwirtschafts- und industriefreundlichen Provinzregierung, der First Nations und Umweltschutzorganisationen sind – wenn überhaupt – nur sehr schwer unter einen Hut zu bringen. Die Gefahr eines zu großen Entgegenkommens der drei Gruppen des Rainforest Solutions Project für die Forstkonzerne weckt Misstrauen und schürt Zweifel, ob mit den Forstkonzernen und dieser Provinzregierung überhaupt verhandelt werden kann oder ob der bessere Weg nicht die Fortsetzung internationaler Boykottkampagnen und Blockadeaktionen wie in den neunziger Jahren gewesen wäre. Durch das Great Bear Rainforest-Abkommen wurden Fakten geschaffen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Jetzt geht es darum, die formulierten und versprochenen Schutzziele für den Great Bear Rainforest auch wirklich zu erreichen. Die möglicherweise von der Provinzregierung schon wieder beabsichtigte Abkehr von diesen Schutzzielen und deren zukünftige Aufweichung muss verhindert werden. Die Forstkonzerne müssen genauestens auf die Einhaltung der Holzeinschlagsregeln gemäß EBM kontrolliert werden. Sie sind auch öffentlich an den Pranger zu stellen, wenn Verstöße bekannt werden.
Absolut nicht zu unterstützen ist die FSC-Zertifizierung von 850.000 Hektar Wald im Great Bear Rainforest. Hier hilft nur ein Boykott der Holz- und Papierprodukte aus dem Great Bear Rainforest. Zeigen Sie dem FSC durch Ihren Kaufverzicht, dass dieses Marketinginstrument als Beihilfe zur Zerstörung weiterer Urwaldflächen im Great Bear Rainforest zu Unrecht vergeben wurde und Ihre Unterstützung nicht findet. Wer gegen die Bewirtschaftung der allerletzten Reste der Küstenurwälder ist, dieser Wälder mit höchstem Schutzwert, der kann guten Gewissens FSC-Produkte, die aus genau diesen Wäldern stammen, nicht kaufen.
 
Für die konstruktive, kritische und zum Teil kontroverse Diskussion des Artikels und die Überprüfung der Zahlen und Fakten bedanke ich mich bei Jens Wieting, Coastal Forest Campagner, Sierra Club BC.
Bei Garth Lenz bedanke ich mich dafür, dass ich seine drei Bilder verwenden durfte. Herzlichen Dank an Ian McAllister und Ingmar Lee, die mir die Verwendung ihrer Bilder gestatteten.
 
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