bears and more • Klaus Pommerenke
 
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11. April 2012
Der Teersand-Abbau in Alberta: Das schmutzige
Geschäft mit dem Öl ruiniert die Umwelt
 
Bei Realisierung des Northern Gateway Pipeline-Projektes des Pipelinebetreibers Enbridge Inc. wird Rohöl von den Teersande-Abbaugebieten in Alberta bis nach Kitimat im Herzen des Great Bear Rainforest transportiert werden. Von dort aus soll es mit Supertankern durch den engen Douglas Channel nach Asien verschifft werden. Der Pipelinebau und der beabsichtigte Öltankerverkehr im schwierig zu navigierenden Douglas Channel bergen nicht kalkulierbare Risiken. Die Frage wäre nicht, ob sich ein katastrophaler Ölaustritt aus der Pipeline, die durch schwierigstes Gebiet führen würde, oder ein Öltankerunfall mit ebenso katastrophaler Ölpest ereignen könnte, die Frage wäre nur, wie schnell es zu solch einem Unglück kommen würde. Der Pipelinebau nach Kitimat würde auch einen weiteren Boom der Ölindustrie in den Teersande-Abbaugebieten in Alberta bewirken, nachdem Präsident Obama zunächst den Bau der Keystone XL-Ölpipeline, welche Öl aus den Teersanden in die USA liefern sollte, gestoppt hat. Zum nationalen Interesse Kanadas erklärt, versuchen Premierminister Stephen Harper und sein Natural Resources Minister Joe Oliver diese Pipeline gegen alle Widerstände durchzudrücken und neue Absatzmärkte für das „dirty oil“ aus den Teersanden in Asien zu erschließen – wenn es die USA schon nicht abzunehmen bereit sind. International ist der Teersande-Abbau längst als Umweltverbrechen und Klimakiller geächtet. „Ölsand – der dreckige Reichtum Kanadas“ ist der Titel eines Filmes, der 2010 bei 3sat im Fernsehen lief. Petropolis, ein Greenpeace-Film von Peter Mettler von 2009 dokumentierte bereits die Umweltzerstörungen unvorstellbaren Ausmaßes in diesem Gebiet. 2010 schrieb Andrew Nikiforuk sein Buch „Tar Sands. Dirty Oil and the Future of a Continent“. 2011 veröffentlichte das Climate Action Network Canada den Bericht „Dirty Oil Diplomacy. The Canadian Government’s Global Push to Sell the Tar Sands“ (erhältlich unter www.drawthelineattarsands.com). Im Februar 2012 publizierten Eva Zschirnt und Arne Jungjohann von der Heinrich Böll Stiftung ihren Bericht „Transatlantische Teersandschlacht. Lobbyismus und dreckiges Öl sind Kanadas neue Exportware“ (www.boell.de/downloads). Auch in der EU regt sich endlich Widerstand gegen den Import von Öl aus den Teersanden, trotz der aggressiven Lobbyarbeit der kanadischen Regierung.
Dieser Artikel soll jedoch zunächst darüber informieren, wie es in den Teersande-Abbaugebieten in Alberta aussieht, was dort aktuell vor sich geht und was in Zukunft geplant ist.
 
Aus borealem Wald wird eine Mondlandschaft. Tagebau der Suncor Millennium Oilsands Mine
© David Dodge, CPAWS/The Pembina Institute  www.oilsandswatch.org
 
Der Teersande-Abbau in Alberta ist eines der größten industriellen Projekte weltweit, es ist eine der dreckigsten Arten der Ölgewinnung und die am schnellsten wachsende Quelle für den Ausstoß von Treibhausgasen. Die Umweltzerstörungen im Norden von Alberta sind schon jetzt von apokalyptischem Ausmaß, doch der steigende Ölpreis führt dazu, dass immer größere Flächen des borealen Waldes abgeholzt werden. Die Abbauflächen der Teersande in Alberta dehnen sich in einem noch nie da gewesenen Ölrausch mit rasender Geschwindigkeit aus. Das potenzielle Abbaugebiet erstreckt sich über ca. 149.000 km², der Größe Englands. Für über 85.000 km² wurden bereits Lizenzen zur Förderung der Teersande an die Ölkonzerne vergeben, ohne jede Umweltverträglichkeitsprüfung. 2009 waren bereits 686 km² borealen Waldes durch den Teersande-Abbau zerstört worden, zwischenzeitlich dürften es weit über 950 km² sein. Der bislang unberührte Wald wird abgeholzt, die Tierwelt verschwindet, die ohnehin schon bedrohten Waldkaribus werden an den Rand der Ausrottung gebracht. Über 600 Pflanzenarten und 300 Tierarten kommen in den Wäldern dieses Abbaugebietes vor, darunter viele seltene Vogelarten. Erde und Torf werden abgebaggert, Sumpfgebiete zerstört, Flüsse vergiftet. Es entstehen riesige Tagebau-Krater, die einer schwarzen Mondlandschaft gleichen. In Giftmüllseen wird die hochtoxische Brühe gelagert, die bei der Förderung entsteht. Alberta verfügt schätzungsweise über abbaubare 175 – 180 Milliarden Barrel Öl in den Teersanden (ein Barrel sind 159,106 Liter). Nach Saudi-Arabien ist Kanada das Land mit den größten bekannten Ölreserven.
 
Tagebau der Suncor Millennium Oilsands Mine östlich des Athabasca River. 4.750 km² zum Tagebau geeigneter Flächen könnten sich in den nächsten Jahren in solche Mondlandschaften verwandeln
© David Dodge, The Pembina Institute  www.oilsandswatch.org
 
Der Abbau der Teersande ist extrem umweltschädlich und energieintensiv. Pro Barrel extrahierten Öls aus den Teersanden werden nach Angaben des Pembina Instituts zwischen 62 und 176 kg CO2 freigesetzt, das sind 3,2 bis 4,5 Mal so viel wie bei der konventionellen Ölförderung in Kanada und den USA. Manche sprechen – je nach Effizienz der Ölförderung in anderen Ländern – sogar von 5 bis 7 Mal so viel. Die durchschnittliche Emissionsrate pro gewonnenem Barrel Rohöl liegt in Kanada nach Angaben des Pembina Instituts bei 35,2 kg CO2, in den USA bei 24,5 kg CO2. Bei der Ölgewinnung aus den Teersanden Albertas fallen durchschnittlich 111 kg CO2 pro Barrel Öl an. Je nach Art der verwendeten Fördertechnologie und der Qualität der Teersande können die Werte sehr unterschiedlich sein. Im Teersande-Tagebau können die Werte zwischen 62 und 164 kg CO2 pro Barrel gewonnenem Öl liegen, bei den in-situ-Techniken zwischen 99 und 176 kg CO2 pro Barrel.
In den borealen Wäldern, die im geplanten Abbaugebiet wachsen, sind nach Berechnungen etwa 8,73 Milliarden Tonnen CO2 gespeichert, was bei Zerstörung dieser Wälder die Klimabilanz dieser Förderung zusätzlich verschlechtert. Einst hatte sich Kanada im Kyoto-Protokoll von 1992 dazu verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2012 im Vergleich zu 1990 um 6 % zu senken. Bis 2006 kam es jedoch bereits zu einer Steigerung der Emissionen um 33 %. Einen ganz erheblichen Anteil hieran hat die Teersande-Industrie. Kanadas Weg, um drohende Strafzahlungen von 10,5 Milliarden € zu vermeiden, war einfach: Am 12. Dezember 2011 kündigte das Land das Kyoto-Protokoll auf. Kanada verlor seine ohnehin schon ramponierte internationale Reputation und wurde von der Weltgemeinschaft zu Recht an den Pranger gestellt. Doch jetzt kann sich Kanada ungehindert von internationalen Klimaschutzzielen aus egoistischen nationalen Interessen zur neuen Öl-Supermacht entwickeln. Laut Internationaler Energieagentur wird Kanada wegen des Teersande-Abbaus in Alberta den höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf weltweit haben. Ab 2020 wird der Teersande-Abbau alleine für über 40 % der zusätzlichen CO2-Emissionen Kanadas verantwortlich sein. Dann werden nicht wie heute noch nur 1,9 Millionen Barrel Öl pro Tag aus den Teersanden extrahiert, sondern 3 bis 5 Millionen Barrel pro Tag. Bereits jetzt haben die Provinzregierung von Alberta und die kanadische Regierung der Gewinnung von 4,11 Millionen Barrel pro Tag zugestimmt. Die vor Ort tätigen Konzerne Shell, BP, Exxon Mobile (Gewinn des Unternehmens 2011: 41,1 Milliarden US$), Total, Suncor, Syncrude und Statoil werden die Preise diktieren, riesige Gewinne einstreichen und ein zerstörtes und verseuchtes Land zurücklassen. Für die nur in Ansätzen mögliche Beseitigung der angerichteten Umweltschäden werden die kanadischen Steuerzahler aufkommen. Künstliche Seen mit Giftbrühe, verseuchtes Grundwasser und verseuchte Flüsse, erhöhte Krebsraten der First Nations in Fort Chipewyan am Athabasca River – all dies ist die kanadische Regierung unter Premierminister Stephen Harper bereit, in Kauf zu nehmen. Der Lockruf des schwarzen Goldes ist lauter und übertönt alle Stimmen, die vor einer sich immer weiter ausdehnenden Umweltkatastrophe warnen. Die neuen „Scheichs“ aus Kanada kennen keine Skrupel, sie haben Dollars in den Augen.
 
Das Syncrude-Tagebaugebiet mit dem „Upgrader“ im Hintergrund
© David Dodge, CPAWS/The Pembina Institute  www.oilsandswatch.org
 
Teersande sind eine Mischung aus wasserhaltigem Ton und Sand mit bis zu 12 % (in Ausnahmefällen bis zu 18 %) Kohlewasserstoffen bzw. Bitumen, entstanden aus abgestorbenen Pflanzen, Algen und Plankton. Um ein Barrel Rohöl zu gewinnen, benötigt man mehrere Tonnen Teersand. Die Angaben über das Verhältnis von benötigtem Energieeinsatz pro gewonnenem Barrel Rohöl bei der herkömmlichen Ölgewinnung und bei der Ölgewinnung aus Teersanden schwanken beträchtlich, verschiedene Umweltschutzorganisationen liefern unterschiedliche Daten. Nach Angaben von Greenpeace wird bei der Ölgewinnung aus Teersanden bis zu 5 Mal so viel Energie verbraucht wie bei „konventionellen“ Methoden der Ölförderung. Eine Studie der Stanford University Kalifornien, die von der EU in Auftrag gegeben wurde, kommt zu nicht ganz so drastischen Unterschieden. Diese Studie zeigt, dass Öl aus Teersanden „nur“ um rund 23 % klimaschädlicher ist als Öl aus konventionellen Quellen: 107,3 g CO2 kommen pro Megajoule erzeugter Energie auf Öl aus Teersanden, konventionelles Öl kommt pro Megajoule erzeugter Energie auf etwa 87,1 g CO2 (Upstream greenhouse gas [GHG] emissions from Canadian oil sands as a feedstock for European refineries. A. R. Brandt, Januar 2011).
 
Das Syncrude-Tagebaugebiet
© David Dodge, The Pembina Institute  www.oilsandswatch.org
 
Die Teersande Albertas (Athabasca Tar Sands, Peace River Tar Sands, Cold Lake Tar Sands) werden im Tagebau abgebaut oder mittels in-situ-Verfahren gewonnen (dampfunterstützte Schwerkraftdrainage (steam assisted gravity drainage, SAGD), zyklische Dampfstimulation (cyclic steam stimulation, CSS), Lösungsmittelverfahren). Das Bitumen muss erst vom Sand getrennt und fließfähig gemacht werden, um es abpumpen zu können. In mehreren Schritten muss es unter Hitze und Druck zu synthetischem Rohöl aufbereitet werden. Zur „Separation“ benötigt man Lösungs- bzw. Trennungsmittel. Das „Upgrading“, d. h. die Umwandlung vom Bitumen zum synthetischen Rohöl in diesen Schwerölaufbereitungsanlagen (Upgrader) verschlingt Unmengen von Energie. Abschließend muss das Öl noch von unerwünschten Begleitstoffen wie z. B. Schwefel gereinigt werden.
 
Das Teersande-Abbaugebiet am Athabasca River in Alberta, von einem Landsat 5-Satelliten der NASA aufgenommen  Datum: 23.07.1984
© NASA Earth Observatory Image, zusammengestellt von Robert Simmon, Daten
von United States Geological Survey  www.earthobservatory.nasa.gov
 
Das Teersande-Abbaugebiet am Athabasca River in Alberta, von einem Landsat 5-Satelliten der NASA aufgenommen  Datum: 15.05.2011
© NASA Earth Observatory Image, zusammengestellt von Robert Simmon, Daten
von United States Geological Survey  www.earthobservatory.nasa.gov
 
Von den 149.000 km² großen Teersande-Abbaugebieten (Etwa 1/5 der Fläche Albertas) sind alleine im Gebiet der Athabasca-Teersande 4.750 km² zum Tagebau geeignet. Davon liegt für 1.400 km² bereits eine Genehmigung zum Tagebau vor. Der Tagebau wird bis zu einer Tiefe von etwa 75 m durchgeführt. Tiefere Teersandlager (z. B. in 350 – 600 m Tiefe) werden mit in-situ-Technologien erschlossen (meist mittels SAGD oder CSS). Auf mindestens 135.250 km² sollen solche in-situ-Verfahren angesetzt werden. Gerade diese Verfahren sind extrem energieaufwendig. Der Spitzenwert von 176 kg CO2 pro extrahiertem Barrel Öl liegt bei diesen Verfahren. Alberta hat gemessen an seiner Einwohnerzahl den höchsten CO2-Ausstoß weltweit, er beträgt pro Einwohner 69 Tonnen jährlich.
Die Teersande-Industrie verbraucht gigantische Wassermengen, die sie dem Athabasca River entnimmt. Diese Industrie darf 652 Millionen Liter Wasser jährlich entnehmen, das ist die siebenfache Menge des jährlichen Wasserverbrauchs des gesamten Großraumes von Edmonton. Führt der Athabasca River absolutes Niedrigwasser, so dürfen ihm immer noch 15 % seines Wassers entnommen werden – mit allen Risiken für Fische und das gesamte Flussökosystem. Nicht immer hält sich die Industrie an die Vorgaben. Im Oktober 2011 wurde Statoil gleich wegen 16 Verstößen gegen wasserrechtliche Vorschriften zu einer lächerlich niedrigen Strafe von 200.000 CAD verurteilt. Jeder einzelne Verstoß hätte mit Strafen von 500.000 CAD geahndet werden können. Regierungskontrollen muss die Teersande-Industrie kaum befürchten und wenn Gesetzesverstöße festgestellt werden, gibt es keine abschreckenden Strafen.
Für die Gewinnung von einem Barrel Rohöl werden zwischen 3 und 5 Barrel Wasser verbraucht (bis zu 795 Liter). Zurück bleiben zunächst meist 200 bis 500 Liter Giftbrühe, die in riesige künstlich angelegte Auffangbecken geleitet werden, die sogenannten tailings ponds. Die Giftbrühe ist hochtoxisch für aquatische Organismen, Vögel und Säugetiere. Sie enthält u. a. Arsen, Blei, Cadmium, Quecksilber, Naphtensäure und krebserregende Kohlenwasserstoffe in hoher Konzentration. Erstmals wurden 2009 Daten über die Giftkonzentration veröffentlicht, 75 toxische Substanzen wurden nachgewiesen. Zwischen 2006 und 2009 hat die Quecksilberkonzentration in der Giftbrühe um 63 % zugenommen, die Bleikonzentration um 69 %, bei Arsen waren es 28 %. Die Asbest-Bestandteile hatten sogar um 949 % zugenommen. Die offenen, schlecht abgedichteten Giftseen haben schon jetzt eine Ausdehnung von 170 km² (das ist etwa die dreifache Fläche des Starnberger Sees). Der Syncrude Mildred Lake ist der größte künstliche Giftsee der Welt. Bis 2020 werden sich die Giftseen auf eine Größe von 250 km² ausgedehnt haben (dies ist knapp die Hälfte der Fläche des gesamten Bodensees). Abzüglich des wiederverwendeten Wassers fällt täglich 200 bis 250 Millionen Liter kontaminiertes Wasser an, das auf unbestimmte Zeit in diesen offenen Giftseen gelagert werden muss. Bislang fassen diese tailings ponds über 843 Millionen m³ ölige Giftbrühe, 2020 werden es über 1,1 Milliarden m³ sein. Täglich sickern nach Schätzungen zwischen 11 und 12,6 Millionen Liter des vergifteten Wassers in das Grundwasser und in den Athabasca River. Die Seen sind eine unmittelbar tödliche Gefahr für Vögel, wenn sie auf der öligen Oberfläche landen. Im April 2008 verendeten z. B. auf einen Schlag 1.800 Zugvögel auf einem tailings pond des Konzerns Syncrude. Die installierten Vogelschreckanlagen richten wenig aus, jährlich sterben Tausende wenn nicht Zehntausende Vögel beim Kontakt mit diesen Giftseen.
 
Giftsee (tailings pond) nördlich der Syncrude-Industrieanlagen
© David Dodge, The Pembina Institute  www.oilsandswatch.org
 
Eine heimtückische, schleichende Gefahr droht auch den Menschen am Athabasca River. Immer mehr vergiftetes Wasser sickert aus den künstlichen Giftseen in den Fluss. In Fort Chipewyan, 280 km flussabwärts der Teersande-Abbaugebiete, hat die Anzahl der Krebserkrankungen erschreckend zugenommen, vor allem der sonst überaus seltene Gallengangs-Krebs. Schon heute ist die Krebserkrankungsrate um 30 % höher als in vergleichbaren Gebieten. Die First Nations vom Stamme der Cree leben großteils vom Fischfang und seit Jahren ziehen sie immer mehr Fische mit deformierten Fischleibern, Missbildungen und Genmutationen aus dem Fluss. Wissenschaftler stellten bei den Fischen hohe Konzentrationen von Quecksilber, Arsen und krebserregenden Kohlewasserstoffen fest. Sie vermuten, dass sich die Giftstoffe der Teersande-Industrie im Mündungsdelta des Athabasca verstärkt ablagern – dort, wo der Fluss flach wird und das Wasser nur noch langsam fließt. Dies sind die bevorzugten Stellen, wo die Fischer ihre Netze auslegen. Längst sehen die Bewohner von Fort Chipewyan einen direkten Zusammenhang zwischen der hohen Krebsrate in ihrem Dorf und der Giftbrühe aus der Ölindustrie. Fisch, der seit Jahrhunderten ihre Lebensgrundlage war, ist jetzt zu einer potenziell tödlichen Gefahr für sie geworden. Die örtliche Gesundheitsbehörde hat bislang lediglich angeordnet, den Verzehr von Fisch einzuschränken.
Ganz im Interesse möglichst hoher Gewinne aus der Teersand-Industrie hat Alberta Vorschriften zur Luftreinhaltung, die z. T. weit unter den Vorgaben der WHO liegen. Die Grenzwerte für Stickoxide und Schwefeldioxid (Alberta Ambient Air Quality Objectives) sind zu Gunsten der Ölindustrie hochgesetzt worden, trotzdem werden sie immer häufiger überschritten. Die Teersande enthalten ca. 5 % Schwefel, der bei der Ölgewinnung entfernt werden muss. Die jährlich anfallenden mindestens 3,5 Millionen Tonnen Schwefelpulver werden um Fort McMurray, dem Zentrum der Teersande-Industrie (von den dortigen Bewohnern als Fort McMoney bezeichnet), in riesigen Schwefelhalden gelagert. In weitem Umkreis kommt es zu saurem Regen und zu einer zunehmenden Versauerung der Böden.
 
Die Syncrude-Industrieanlagen
© David Dodge, CPAWS/The Pembina Institute  www.oilsandswatch.org
 
Bislang sind nur 0,15 % der durch den Teersande-Abbau zerstörten Flächen von der Provinzregierung von Alberta als „rekultiviert“ anerkannt nach dem Environmental Protection and Enhancement Act (etwas mehr als 100 Hektar, Gateway Hill-Gebiet). Der Rest verbleibt als verwüstetes Land. Die Ölkonzerne selbst behaupten, sie hätten bereits 65.000 Hektar rekultiviert, jedoch fehlen offizielle Bestätigungen hierüber. Als „rekultiviert“ bezeichnen die Ölkonzerne eine Fläche bereits dann, wenn Gras eingesät und kleinste Büsche und Bäumchen gepflanzt wurden. Syncrude wirbt auf der Firmenwebsite damit, 4.500 Hektar Land nördlich von Fort McMurray rekultiviert zu haben. Der einst vorkommende artenreiche boreale Wald mit etwa 60 % eingelagerter Feuchtgebiete wird jedoch für immer verschwunden bleiben. Eine Wiederherstellung dieser Feuchtgebiete wäre auch bei riesigem finanziellem Einsatz nicht möglich. Für eine sichere Endlagerung der Giftbrühe in den künstlichen Giftseen gibt es noch keine Lösung. Eine Untersuchung von Wissenschaftlern der University of Alberta zum Rekultivierungsproblem kommt zu folgendem Schluss: „Claims by industry that they will ‚return the land we use including reclaiming tailings ponds – to a sustainable landscape that is equal to or better than how we found it‘ and that it ‚will be replanted with the same species‘ are clearly greenwashing. The postmining landscape will support >65 % less peat land. One consequence of this transformation is a dramatic loss of carbon storage and sequestration potential, the cost of which has not been factored into land-use decisions. To fairly evaluate the costs and benefits of oil sand mining in Alberta, impacts on natural capital and ecosystem services must be rigorously assessed.“ (Rooney, R. C., Bayley, S. E. & Schindler, D. W. [2012]). Oil sands mining and reclamation cause massive loss of peat land and stored carbon. Proceedings of the National Academy of Science in the United States of America, 109 (11)). Die Kosten für eine irgendwann stattfindende Rekultivierung zerstörter Gebiete wurden schon vor Jahren auf mindestens 15 Milliarden CAD geschätzt. Ein von der Ölindustrie mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattetes Rekultivierungsprogramm gibt es nicht. Die Steuerzahler in Alberta und ganz Kanada werden für die durch die Ölindustrie angerichteten Schäden aufkommen müssen.
Die EU-Kommission wollte bereits – bislang vergeblich – Öl aus den Teersanden Albertas vom europäischen Markt fernhalten, indem sie diesem Öl im Rahmen der EU-Kraftstoffqualitätsrichtlinie einen höheren Emissionswert zuweist. Faktisch wäre dies einem Importverbot für Öl aus Teersanden gleich gekommen und hätte einen Signalcharakter für andere Länder gehabt. Bei der Abstimmung am 23. Februar enthielt sich u. a. auch die Bundesregierung der Stimme, die Entscheidung wurde vertagt. Jetzt muss der Ministerrat der EU im Juni neu darüber entscheiden. Schon am 8. Februar 2012 hatte der Umweltausschuss des Bundestages leider den Vorschlag der EU-Kommission abgelehnt. Bundeskanzlerin Merkel, einst als Klima-Kanzlerin hochstilisiert, war schon längst zur Klima-Katastrophe mutiert. Sie war eingeknickt vor der Lobbyarbeit der Ölindustrie und der kanadischen Regierung (Kanada hatte der EU offen mit einem Handelsstreit gedroht). „Erst hat die [deutsche] Regierung eine beispiellose Hängepartie veranstaltet und die Entscheidung über die deutsche Positionierung immer wieder hinausgezögert, nur um dann nach der Pfeife der internationalen Öl-Konzerne zu tanzen und Kyoto-Aussteiger Kanada auf seinem Weg abseits der internationalen Staatengemeinschaft zu bestärken“, urteilte Viviane Raddatz vom WWF damals. „Mit dieser Entscheidung haben sich die Abgeordneten zu Botschaftern Kanadas gemacht und sich widerstandslos vor den Karren der Öl-Industrie spannen lassen.“
 
Das Syncrude-Tagebaugebiet. 2009 waren bereits 1.352 km² zum Tagebau freigegeben
© David Dodge, The Pembina Institute  www.oilsandswatch.org
 
Die kanadische Regierung läuft Sturm gegen Gesetze für strengere Qualitätsstandards für Treibstoffe, was zu Importverboten für Öl aus Teersanden führen könnte. Kanada bekämpft solch strengere Gesetze in Kalifornien und in Washington D.C. genauso wie in Europa. Friends of the Earth Europe zählten in den letzten zwei Jahren über 110 Lobby-Veranstaltungen der Teersand-Industrie in Europa. Kanada liefert zwar (bisher) kaum Öl nach Europa, doch soll unter allen Umständen verhindert werden, dass ein EU-Gesetz gegen Öl aus Teersanden eine Mustervorlage für andere Länder sein könnte. Neben Bundeskanzlerin Merkel ist auch der britische Premierminister David Cameron der Lobbyarbeit der Teersand-Industrie erlegen. Er hat sich als Sprachrohr der Teersand-Lobby in Europa einen Namen gemacht, schließlich hat er die Interessen der britischen Ölkonzerne Shell und BP zu vertreten.
Die konservative kanadische Regierung unter Stephen Harper hat sich die Interessen der Ölindustrie komplett zu Eigen gemacht. Harper, Sohn eines Imperial Oil-Managers, ist zu einer Marionette der Ölindustrie geworden. Die Maxime seines politischen Handelns ist es, Kanada zur zukünftigen Öl-Supermacht zu machen. Er sieht bereits ein neues „goldenes“ Zeitalter für Kanada voraus, das Zeitalter des schwarzen Goldes: Das „Tar Age“, wie es Andrew Nikiforuk nannte. Kanada befindet sich im Öl-Rausch. Erinnern wir uns daran, wie einst der Goldrausch am Yukon zu Ende gegangen ist …
 
Fragmentierung des Waldes bei den in-situ-Verfahren. OPTI Nexen SAGD Long Lake-Projekt
© David Dodge, The Pembina Institute  www.oilsandswatch.org
 
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