bears and more • Klaus Pommerenke
 
Start
Über mich
Fotogalerie
Buch
Texte & News
Karten
Links
Datenschutzerklärung
Impressum
 
19. Oktober 2013
Der Erdgas- und Flüssigerdgas-Boom in BC
 
Jeden Monat werden im Nordosten von BC Pachtverträge und Öl- und Gasbohrrechte für tausende Hektar Land an die Öl- und Gaskonzerne vergeben. Im Oktober 2013 nahm die Provinz BC 4,6 Millionen CAD aus dem „natural gas and petroleum sale“ ein. Im September waren es 3,5 Millionen CAD, für nur fünf Parzellen mit insgesamt 1.433 Hektar. Im August waren es 20,4 Millionen CAD, alleine eine Parzelle 130 km nordwestlich von Fort St. John brachte 18,1 Millionen CAD ein – 5.389 CAD pro Hektar. Insgesamt nahm BC dieses Jahr hierdurch bereits 162 Millionen CAD ein und weitere Millionen werden noch folgen. Durch neue Gaspipelines soll das Erdgas an die Küste gebracht werden, nach Kitimat und Prince Rupert. Dort sollen Fabriken zur Verflüssigung des Erdgases entstehen, die sogenannten LNG-Fabriken (liquefied natural gas, LNG). Das gewonnene Flüssigerdgas soll dann mit riesigen LNG-Tankern zu den energiehungrigen asiatischen Märkten transportiert werden.
Der neue Wohlstandsmotor und Exportschlager von BC ist nicht Gold oder Holz, es ist Erdgas bzw. Flüssigerdgas. Nach einer Besichtigungstour von 6 Standorten für zukünftige LNG-Fabriken erklärte Rich Coleman, Minister of Natural Gas Development: „… building LNG is the best thing we can do for B.C.“ Gegenwärtig gibt es 14 LNG-Projekte in BC, für drei hat das National Energy Board (NEB) bereits Exportlizenzen für 20 Jahre erteilt: Für das Douglas Channel Energy Projekt in Kitimat, eine schwimmende Fabrik unter Beteiligung der Haisla First Nation, für das Kitimat LNG-Projekt in Bish Cove (Apache Corp., Chevron Canada) und das LNG Canada-Projekt (Shell und Partner). Ein weiteres Projekt ist das von Woodfibre Natural Gas Ltd. bei Squamish. Drei LNG-Projekte sind beim NEB gerade in der Genehmigungsphase, sieben weitere Projekte sind zur Genehmigung eingereicht. Das Pacific NorthWest LNG-Projekt auf Lelu Island bei Port Edward/Prince Rupert steht kurz vor der Genehmigung. Schon jetzt ist der Wald gerodet, breite Zufahrtsstraßen wurden planiert, Elektrizitätsleitungen wurden gebaut und die ganze Infrastruktur vorbereitet. Über die Dauer von 25 Jahren sollen jährlich 19,68 Millionen Tonnen Flüssigerdgas mit LNG-Tankern nach Asien verschifft werden. Auch die Anträge der BG Group für eine LNG-Fabrik in Prince Rupert (Exportkapazität 21,6 Millionen Tonnen jährlich) und der Antrag von Imperial Oil und Exxon Mobil Canada (Exportkapazität 30 Millionen Tonnen jährlich) haben beste Chancen auf Genehmigung. Im März 2013 begann bereits das 90 Millionen Road, Rail and Utility Corridor-Projekt auf Ridley Island um unter anderem die LNG-Projekte vorzubereiten.
 
Hafenanlage der Ridley Terminals Inc. bei Port Edward © Klaus Pommerenke
 
„We’re confident an LNG industry will create thousands of jobs and provide lasting legacies that will deliver a wide range of benefits for our communities“, erklärte Rich Coleman im Juli 2013 (Pressemitteilung des Ministeriums: LNG export applications continue to gain momentum, 23. Juli 2013). Zur Ölförderung und zur Gasgewinnung (größtenteils durch Fracking), zum Bau neuer Erdgaspipelines und neuer LNG-Fabriken sollen in der Hauptbauzeit 2016/2017 60.000 Arbeitsplätze entstehen. Wenn alle LNG-Projekte realisiert werden sollten, erwartete die Provinzregierung 75.000 Dauerarbeitsplätze und sprudelnde Steuereinnahmen. „The current expectations for LNG growth in British Columbia shows the industry could add as much as $1 trillion in cumulative domestic gross domestic product between now and the year 2046. This is new money that represents the promise of a lasting legacy that includes tens of thousands of stable jobs for British Columbians“, schrieb Premierministerin Christy Clark in der „British Columbia’s Liquefied Natural Gas Strategy, One Year Update“. Das „dauerhafte Vermächtnis“ der vermeintlich sicheren Arbeitsplätze und unrealistisch hoher, viel zu optimistisch berechneter Steuereinnahmen wird gepriesen, doch was ist mit dem zweifelhaften Vermächtnis der anderen Art, das vermutlich nachhaltiger ist als das Vermächtnis des Wohlstandes: Grundwasser, das durch das Fracking vergiftet ist, verseuchte Flüsse, ein parzelliertes, durch unzählige Bohrstätten und Förderanlagen zerschnittenes Land, ein von Pipelines überzogenes Land, gigantische Staudämme und Flusskraftwerke, um die energiehungrigen LNG-Fabriken betreiben zu können, riesige Schneisen in den Wäldern für die Masten der Stromautobahnen, ausufernde Hafenanlagen für LNG-Tanker, ein Tankerverkehr entlang der Küste, wie er nicht einmal auf den am dichtesten befahrenen Schifffahrtsrouten dieser Welt herrscht. Prognostiziert sind 200 LNG-Tanker und bis zu 220 Öl-Supertanker alleine im engen Douglas Channel und 2.800 Tankerfahrten pro Jahr entlang der gesamten Küste. Erschreckende Wahrscheinlichkeitsberechnungen weisen auf das Potential von Schiffskollisionen und Tankerunfällen hin, eine zu prognostizierende Ölpest würde Strände und Buchten verschmutzen, das Resultat wären tote Wale und andere Meeressäuger, zehntausende tote Meeresvögel, zusammengebrochene Herings- und Lachspopulationen. Dieses „Vermächtnis“ zeigt teilweise der Film „Fractured Land“ von Damien Gillis.
 
Hafenanlage der Prince Rupert Grain Ltd. bei Prince Rupert/Port Edward © Klaus Pommerenke
 
Die erwarteten Steuereinnahmen dürften wesentlich geringer ausfallen als in den euphorischen Schätzungen von Premierministerin Clark. In der Financial Post vom 16. August 2013 hieß es bereits, die LNG-Industrie in BC sei „overcrowded“. Bis 2020 wird sich die Zahl der LNG-exportierenden Staaten auf 50 verdoppelt haben. Der Gaspreis am Weltmarkt wird wohl deutlich sinken. Aufgrund des Fracking-Booms in den USA – bereits als „shale bonanza“ bezeichnet – kann Kanada dort Erdgas nur noch zu einem sehr schlechten Preis absetzen. Deshalb zielen alle LNG-Projekte auf die Belieferung des asiatischen Marktes. Bereits jetzt ist der Preisdruck so gewaltig, dass bei der Gasgewinnung und beim Flüssigerdgas-Transport auf kostentreibende Umweltschutzgesetze und Sicherheitsvorschriften nur noch ungern Rücksicht genommen wird. Wer an der Sicherheit spart, der kann sich im Rennen um die asiatischen LNG-Abnehmermärkte Vorteile sichern. Die Umweltschäden werden im Nordosten von BC oder entlang der Küste zurückbleiben, als „legacy“ für Jahrhunderte. Werden alle LNG-Projekte realisiert, so kann BC darüber hinaus seine eigenen gesetzlich formulierten Obergrenzen für den Ausstoß von Treibhausgasen bei weiten nicht einhalten. Andrew Weaver von der Grünen Partei in BC nennt deshalb die LNG-Pläne der Provinzregierung Luftschlösser oder Phantastereien: „I think talk on B.C. becoming a major LNG exporter is nothing more than a pipedream“, erklärte er am 19.09. im Times Colonist. „The greenhouse-gas emissions associated with LNG development are simply too high to allow us to meet our legislated targets … Canada has less than one per cent of the world’s proven natural gas reserves. Russia has 20 times as much natural gas as all of Canada combined, and they’ve recently signed long-term export agreements with China. Russia transports its gas to China by pipes. It doesn’t require the costly process of liquefying it and tanker traffic across the ocean … The U.S. already has the necessary infrastructure in place on their coastline to facilitate the relatively quick development of their LNG export industry and China could well be soon positioned to take advantage of its own natural gas reserves, which are three times the size of all of Canada’s – not just B.C.’s alone.“ Nach Weaver macht es keinen Sinn, in einem kurzfristigen Fracking- und LNG-Boom riesige Umweltschäden anzurichten, um danach festzustellen, dass sich die erhofften Steuereinnahmen aufgrund der weltweiten Konkurrenzsituation bei weitem nicht erzielen lassen. Völlig unbeeindruckt von dieser Einschätzung tourt Minister Rich Coleman noch bis zum 21. Oktober durch Korea, China und Malaysia, um für die LNG-Projekte in BC zu werben. Die Staatskonzerne PetroChina, Sinopec und Petronas Energy (Malaysia) sowie KOGAS (Südkorea) sollen ermutigt werden, in BC zu investieren. Vom 21. November bis 3. Dezember wird Premierministerin Christy Clark eine Handelsmission nach China, Japan und Korea anführen.
 
Fairview Container Terminal in Prince Rupert © Klaus Pommerenke
 
Prince Rupert wird nach dem weitgehenden Ausbleiben der Kreuzfahrtschiffe durch die neuen Industrieprojekte als Hafenstadt womöglich einen neuen Boom erleben. Fabriken zur Verflüssigung von Erdgas werden gebaut werden, das Fairview Container Terminal expandiert, ebenso die Ridley Terminals Inc. und die Prince Rupert Grain Ltd. Containerfrachtgüter, Getreide, Canola (Canadian Oil Low Acid), Holzpellets, Kohle, LNG und vielleicht auch Öl aus den Teersanden Albertas (falls eine „Pipeline on Rail“ entlang des Skeena River realisiert wird) werden den Schiffsverkehr drastisch ansteigen lassen. Prince Rupert wirbt mit seinen strategischen Vorteilen: „closer to Asian markets by up to three days sailing time, deepest natural harbor in North America, safe & efficient access from international shipping lanes, superior/uncongested rail connection to the North American Midwest.“ Als Ausgangspunkt für Walbeobachtungstouren wird Prince Rupert vielleicht bedeutungslos werden. Der beständige Unterwasserlärm der Containerschiffe, Frachter und Tanker wird Buckelwale, Grauwale, Orcas und Tümmler von den Gewässern um Prince Rupert, vor allem vom Chatham Sound, fernhalten.
 
Buckelwale beim bubble-netting unweit von Prince Rupert im Chatham Sound © Edi Aschwanden
www.lonelyrider.ch
 
Kitimat am Ende des Douglas Channel bzw. die Haisla First Nations-Siedlung Kitimaat Village 11 km südlich von Kitimat wird ein Konglomerat umweltschädlicher Industrien werden. Neben der Rio Tinto Aluminiumschmelze und – falls das Northern Gateway Pipeline-Projekt realisiert werden wird – dem riesigen Öllager und dem Ölhafen sowie der geplanten Raffinerie 25 km nördlich von Kitimat (DuBose-Gebiet) werden auch zwei bis drei LNG-Fabriken und Gastanklager hinzukommen. Im Streit um die LNG-Projekte hat die Haisla First Nation im Dezember 2012 die Allianz der Coastal First Nations verlassen. Strittig war vor allem die Energieversorgung der geplanten Flüssiggas-Fabriken. Die Coastal First Nations hätten die Energiegewinnung aus Wasserkraft bevorzugt, die Haisla bevorzugen die aus Gasverbrennung – trotz des immensen CO₂-Ausstoßes. Doch der eigentliche Konflikt lag tiefer. Art Sterrit, der Vorsitzende der Coastal First Nations, beschuldigte den Rat der Haisla, das Einnehmen von Dollars über den Schutz der Umwelt zu stellen („picking dollars over the environment“). Zu der Position der Haisla zu den LNG-Projekten erklärte er: „They ended up totally conflicted on this and they decided: We’re going to do this the dirtiest way possible and get all the money we can.“ Ellis Ross, Chief Councilor der Haisla, bezeichnete diese Äußerung als „insult to the Haisla people“.
Mit dem Austritt der Haisla First Nation aus der Allianz der Coastal First Nations schlug Ross auch mildere Töne an bezüglich des Northern Gateway Pipeline-Projektes von Enbridge. Natural Resource Minister Joe Oliver hatte Ross bei zwei Treffen bedrängt, seine ablehnende Haltung zum Northern Gateway Projekt aufzugeben. In einem Interview erklärte Ross daraufhin: „Can we be persuaded? I don’t know. I really don’t know. You’re really looking in a crystal ball now if you want that question answered.“ Eine wirklich ablehnende Haltung würde sich anders anhören. Ross sollte sich an die Worte seines Vorgängers, des früheren Chief Councilor Gerald Amos, erinnern. Dieser schrieb in einem offenen Brief im Terrace Daily vom 8. Januar 2012: „We are not opposed to development. But we are opposed to stupidity and placing our homelands at terrible risk in order to satisfy the insatiable greed of the international oil industry. We do not accept the Prime Minister’s claim that this project [Enbridge Northern Gateway Pipeline-Projekt] is in Canada’s national interest, and it is certainly not nation building, but rather, planet destroying. Haisla the lead in developing the LNG project in Kitimat, the largest new industrial development in the north in 30 years. Natural gas is the cleanest hydrocarbon available, tar sands oil is the dirtiest. My community’s decision to support natural gas development and oppose tar sands pipelines is a considered and informed decision consistent with our ancestral responsibilities as First Nations who have never surrendered title to these lands. Yes, we need and want jobs. Long term, permanent, sustainable jobs we can be proud of, not six months of digging ditches for a tar sands pipe, or jobs cleaning up oil spills.“ Gerald Amos erwähnt noch einen weiteren wichtigen Punkt, der auch bei der Erdgasgewinnung mittels Fracking im Einzugsgebiet lachsführender Flüsse und beim herannahenden dichten Tankerverkehr im engen Douglas Channel (egal, ob es LNG- oder Öltanker sein werden) zu bedenken ist: „The Haisla reality is a growing list of ancestral foods which wen o longer have access to. Oolichans [die kleinen pazifischen Küstenstinte] were once the most important food resource of the Haisla. They are now all but extinct in the five rivers in our territory that once produced them in great abundance such as a harvest of over 600 tons a year in the Kitamaat River alone. Abalone are also gone. Crabs, prawns and bottom fish in Douglas Channel are either gone or illegal for human consumption due to toxic pollution. Salmon habitat in the Kitimat River, once one of the jewels of the coast, is all but gone. Any semblance of salmon abundance is now reliant on a federal hatchery paid for by tax payers, not the industry that destroyed the productivity of the river in the first place.“
 
Abtauchender Buckelwal © Klaus Pommerenke
 
Wieso haben die Haisla ihre natürlichen Ressourcen nicht besser geschützt oder schützen können, fragen sich manche der Haisla-Nachbarn aus der Gitga’at First Nations-Siedlung Hartley Bay. „Sollen sie ihren Fisch doch jetzt im Supermarkt bei Safeway kaufen, aber nicht heimlich in den Gewässern der Gitga’at fischen“, hört man hin und wieder in Hartley Bay. Die Gitga’at in Hartley Bay äußerten Bedenken gegen das LNG-Projekt unter Beteiligung der Haisla in Kitimat, da sie fürchten, dass durch die riesige Erdgasverbrennung zur Energieversorgung der LNG-Fabriken die Luftverschmutzung auch Hartley Bay treffen würde. Bei entsprechenden Winden würden die Abgaswolken nach Hartley Bay herübergeweht werden. Doch auch die Gitga’at First Nation kann sich der wirtschaftlichen Entwicklung und Ressourcenerschließung außerhalb ihres Territoriums nicht verschließen. Sie würden sich dem Vorwurf aussetzen, gegen jeden Fortschritt zu sein und sich gegen Wohlstand auszusprechen. So schloss die Gitga’at First Nation wohl ebenfalls bereits Abkommen ab, um die LNG-Tanker durch den Douglas Channel passieren zu lassen, vorbei an Hartley Bay. Viele in Hartley Bay betrachten es als das kleinere Übel, wenn LNG-Tanker durch die Engstellen des Douglas Channel navigieren statt Öl-Supertanker. Doch auch bei einer Havarie eines LNG-Tankers könnten die Folgen für die Umwelt verheerend sein, jedoch nicht ganz so katastrophal und nachhaltig zerstörerisch wie bei einer Havarie eines Öl-Supertankers, die eine Ölpest weitaus schlimmeren Ausmaßes nach sich ziehen würde wie die 1989 von der Exxon Valdez verursachte. Eine Erlaubnis der Gitga’at, die LNG-Tanker durch ihr Territorium nach Kitimat passieren zu lassen, bringt zwar hohe finanzielle Zuwendungen für die Gemeinde, kann jedoch auch das Ende des mühsam aufgebauten Bärbeobachtungsprogramms vor allem für Spiritbären bedeuten. Keiner der aus aller Welt anreisenden Fotografen und Ökotouristen will LNG-Tanker an jenen Stränden vorbeifahren sehen, an welchen sie hoffen, Spiritbären zu finden. Keiner wird jemals wiederkommen, nachdem sich eine Tankerhavarie in diesem Gebiet ereignet hat. Bereits jetzt gibt es Tourveranstalter, die sich für die kommende Bärbeobachtungssaison 2014 überlegen, überhaupt noch die Gegend um Hartley Bay anzulaufen oder ob sie nur noch Gebiete abseits der Tankerroute aufsuchen werden. Ein einziger Tankerunfall würde das traditionelle Leben und die Kultur der Gitga’at First Nation vernichten und das, was sie als nachhaltigen Ökotourismus über Jahre hinweg aufzubauen versucht haben, abrupt beenden.
 
zurück   zurück